THE UNIVERSITY

OF ILLINOIS

LIBRARY

506 zu

V- 12-15

Yierteljahrsschrift

der

Natnrforschenden Clesellschaft

jwii^a.

IRedig-irt

J3r. DRudolt" "Wolf,

Prof. der Astronomie in Zürich.

ZwTÖlfter Jahrgang.

in Comission bei Salomon Höhr.

1867. ]

SOQ> Z-U.

Inhalt.

Seite. Baltzer, über die Einwirkung von Chloracelyl auf Zucker-

säureälher und Anissäure 303

Dybkowsky und Fick, über die Wärmeentwickelung beim

Starrwerden des Muskels 321

Egli, die Entdeckung der Nilquellen .... 16

Eulenburg, zur Frage über die Zuckerbildung in der Leber 232 Fritz, über die Häufigkeit und die Richtung der bichl-

barkeit des Polarlichtes ...... 350

Graberg, geometrische Millheilungen .... 391

Mayer, Mollusques tertiaires du Musee föderal de Zürich 241

Slädeler, über die Constitution der Phenylschwefelsäure 221

Stahl, über die Theorie der Gasabsorption ... 1

Wartlia, Beiträge zur qualitativen Analyse . 151 Wislicenus, Mitlheilungen aus dem Universitätslaboralo-

riura Zürich 166

Wolf, astronomische Mittheilungen . . . . . 109

Fritz, Mittheilung über eine Erdbebenperiode . 209

Beitrag zur krilischen Untersuchung der alleren Ko-

inetenverzeichni.sse . .311

Hohl, Auszug aus dem Wochenrapporte des Telegraphen- Bureau Zürich ....... 106

625819

IV

Seite. Weilemann, das IVI eor vom 11. Juni 1867 .... 211 Wolf, Nolizcn zur i hweiz. Kulturgeschichte 106 218 401

Abweichung der Magnetnadel in Zürich .... 399

Generalregisler über die Bände 1 12 .... 403 V. Wyss, Naturereignisse ........ 399

lieber die Theorie der Uasabsorption

von Josef Stahl.

Wenn gasförmige Körper mit i'esten oder flüssigen in Berüiirung kommen, so tritt in Folge der Moleciilar- wirkung der Oberflache der festen oder flüssigen Körper die Erscheinung auf, die man Gasabsorption nennt; ausserdem müssen sich an der Oberfläche der festen und flüssigen Körper die Gase condensiren. Die Er- scheinung der Absorption der Gase ist schon frühe von den Piiysikern untersucht worden und Henry hat zuerst das Gesetz gefunden, dass bei gleichbleibender Temperatur die von einem Körper absorbirten Gas- mengen dem äussern Drucke des Gases proportional sind. Hierauf hat Dalton Sätze über die Gasabsorp- tion und über die Absorption von Gasgemengen aus- gesprochen, aber dieselben haben keine rechte An- erkennung finden können. Um das He nry'sche Gesetz und die Dalton'sche Theorie zu prüfen, haben in neuester Zeit Bunsen, Carius, Schön feld, Ros- coe und Ditmar und Andere Versuche angestellt und sie sind zu folgenden Resultaten gelangt: Für Körper, welche nicht sehr beträchtliche Gasquantitälen ab- sorbiren, gilt das He nry'sche Gesetz strenge; was aber die andern Körper anbelangt, welche beträcht- liche Gasquantitäten absorbiren, so können Abweich- ungen von diesem Gesetze stattfinden, ja es kann der Fall eintreten, dass wenn der äussere Gasdruck von einer gewissen Grenze an vermehrt wird, gar kein

XII. 1. i

•y ' stahl, über die Theorie der Gasabsorption.

Gas mehr absorbirt wird. Tritt aber die letztere Er- scheinung ein, so wird sie nur bei niederen Tempe- raturen beobachtet, mit der Erhöhung der Temperatur treten wieder Aenderungen in den absorbirten Gas- mengen mit dem Drucke ein, welche sich bei fortge- setzter Erhöhung der Temperatur dem Henry-Dai- ton'schen Gesetze gemäss zu verhalten anfangen, und von einer gewissen Temperatur an hinauf, gilt das Henry -Dal ton 'sehe Gesetz wieder strenge. Es ist ferner beobachtet worden, dass sich diesem Ge- setze gemäss alle permanenten Gase verhalten, dass aber für niedere Temperaturen oder sehr beträcht- liche Drücke diejenigen Gase Abweichungen von diesem Gesetze darbieten, welche durch Druck oder Erniedrigung der Temperatur in den flüssigen Zustand übertreten können. Die Erklärung dieser Erschei- nungen liegt nahe. In Folge der Molecularanziehun^ der Oberfläche des Absorbenten dringen in den von den Körpermolecülen des Absorbenten leer gelassenen Raum die Gastheilchen ein und das Gas erleidet da- selbst eine Verdichtung. So lange das Henry 'sehe Gesetz statt hat, ist man sicher, dass auch die ab- sorbirten Gase sich im Gaszustande beflnden. Ist das Gas ein condensirbares, so kann in Folge der Mole- cularwirkung der Oberfläche des Absorbenten und durch Steigerung des Druckes des äussern Gases der Druck des absorbirten Gases so gross werden, dass das Gas dem Zustande nahe kommt, in welchem es in den flüssigen Zustand übertritt; für diesen Fall be- obachtet dasselbe, obgleich noch im gasförmigen Zu- stand, das Mariotte'sche Gesetz nicht mehr, und es treten Abweichungen vom Henry'schen Gesetze ein.

Stahl, über die Theorie der Gasabsorplion. 3

Bei einem gewissen Drucke aber geht alles absorbirte Gas in den flüssigen Zustand über und es scheint, dass dabei plötzlich eine sehr beträchtliche Zunahme der absorbirten Gasmenge eintreten muss; dieser Mo- ment liesse sich daher sehr leicht beobachten. So- bald aber das Gas in den flüssigen Zustand überge- treten ist, darf dann, so lange keine anderwärtigen Veränderungen stattfinden , bei einer weiteren Ver- mehrung des Druckes der äussern Gasmasse kein Gas mehr absorbirt werden.

Prof. Stefan ist, wie mir scheint, der erste und der einzige gewesen, der die Absorption der Gase der Rechnung unterworfen hat. Seine Theorie, die sich inden Abhandlungen der Wiener Akademie vom Jahre 1858 befindet, erstreckt sich auf den Fall, wenn ange- nommen werden darf, dass das absorbirte Gas sich im Gaszustande und weit genug von dem Funkte der Verdichtung entfernt befindet, für weichen dasselbe flüssig zu werden beginnt.

Es wird ferner der Act des Einströmens des Gases in den Absorbenten der Rechnung unterzogen und bei der Aufstellung der Dilferenzialgleichung dafür angenommen : 1) Dass dieses Einströmen in den Ab- sorbenten so erfolge, wie in einen für das einströmende Gas leeren Raum; 2) dass im Innern der absorbiren- den Substanz durch die anziehende Wirkung der Körpermolecüle die Elastizität des Gases verändert wird; 8) dass das im Differenziale der Zeit in den Absorbenten übergetretene Difi'erenzial der äussern Gasmasse der Differenz zwischen den Drücken des äussern und des absorbirten Gases oder einer Function dieser Differenz proportional ist, und dass die Ab-

4 Stahl, über die Theorie der Gasnhsorption

Sorption aufhört, sobald diese Drüclve einander gleich geworden sind ; 4) dass vvalirend der Absorption keine Temperalurveränderung eintrete und für den ganzen Vorffang der Absorption das Mariotle'sche Gesetz gültig bleibe. Ich glaube aber nicht, dass es, um die von Henry und Dalton aufgestellten Gesetze der Gasabsorption theoretisch abzuleiten, nothwendig sei, den Act der Absorption der Rechnung zu unter- werfen, ich glaube auch nicht, dass das Gas im Ab- sorbenten durch die Einwirkung der Molecüle des- selben seine Elastizität verändere, dass es ferner während der Absorption eine Temperaturänderung nicht erleide und dabei das Mariotte'sche Gesetz befolge. Wenn man nämlich annimmt, dass die Ab- sorption wie ein Einströmen in einen leeren Raum zu betrachten sei, alsdann muss das Gas in den Zwi- schenräumen des Absorbenten in Folge der dabei stattfindenden Condensation desselben eine Temperatur- erhöhung erfahren; ein Theil der freigewordenen Wärme wird sich den umgebenden Molecülen des Ab- sorbenten mittheilen, welches in Verbindung mit dem Drucküberschuss des innern über das äussere Gas eine Ausdehnung des Absorbenten bewirkt und den Druck des innern Gases etwas vermindert, worauf eine neue Gasquantilät absorbirt wird, und dies wird sich wahrscheinlich so lange wiederholen, bis das Gleichgewicht zwischen innerem und äusserm Gas- druck am Ende des eigentlichen Actes der Absorption hergestellt ist. Dies scheint auch mit der wahren iN'alur des Vorüanires übereinzustimmen, wenigstens ist es Thatsache, dass während der Absorption, auch wenn das absorbirte Gas nicht in den flüssigen Zu-

Stahl, über die Theoiie der Gasabsorptioti. 5

stand übertritt, eine Wärnieentwiclielung im Absor- benten stattfindet. - Auch scheint für den Fall der Absorption eines Gasgemeng-es dieselbe nicht so vor sich zu gehen, als ob für jedes einzelne einströmende Gas die anderen gar nicht vorhanden waren ; das Dnlton'sche Gesetz über die Ausbreitung- eines Gas- oemenges in einem abaeschlossenen Raum hat erst statt, wenn einige Zeit seit dem Acte der Absorption verflossen ist und die Gase Zeit gefunden haben sich wechselseitig zu durchdringen und ihre Ungleichheiten auszugleichen. Es scheint daher das Problem, den Act der Absorption der Rechnung zu unterziehen durchaus kein einfaches zu sein, ich glaube vielmehr, dass man vornehmlich den Punkt in's Auge fassen müsse, wenn der Gleichgewichtszustand zwischen innern und äussern Gasdrücken eingetreten ist und kein Gas mehr absor- hirt wird.

Das Dalton'sche Gesetz über die Ausbreitung eines Gasgemenges in einem abgeschlossenen Räume gibt die Lösung des Problems der Absorption eines Gasgemenges, wenn die Absorptionsgesetze für ein Gas bekannt sind, ich habe daher geglaubt nur die Absorption eines Gases der Rechnung- unterwerfen zu dürfen. Dabei habe ich geglaubt, dass das absor- birte Gas seine Elastizität nicht nolhwendig verandern müsse, und habe angenommen: 1) das:> die Anziehung- des Absorbenlen auf das seiner Oberflache benachbarte Gas sich nur auf unmessbare Entfernungen erstrecke, für alle messbaren Entfernungen aber verschwinde; 5) dass in Folge der Molecularv, irkung- eine geg-en die Oberflache des Absorbenlen zu, an Dichte sehr rasch zunehmende Gasschichte sich anlegt, welche sich

C Stahl, über die Theorie der Gasabsorption.

auch in das Innere des Absorbenten hinein mit einer sehr rasch bis zu einer constanten Grösse zunehmen- den Dichte fortsetzt, dass aber die Gasmasse im Innern der absorbirenden Substanz nicht wie ausserhalb der- selben als stetig betrachtet werden darf, sondern durch die dazwischenlieg^enden Molecüle dieser Substanz vielfache Unterbrechungen erleidet. Ich habe ferner geglaubt, dieselbe Anschauung von der Gasabsorption annehmen zu dürfen, wie die von der Absorption ge- pulverter Substanzen, worüber Jamin und Bertrand schöne Versuche angestellt haben : dass nämlich das Volumen , welches von einem Körper eingenommen wird, nur zum Theil von den Molecülen desselben ausgefüllt werden würde; dieser Raum, welcher von den Molecülen des Absorbenten ausgefüllt werden würde, darf als mit der Temperatur und wahrend der Absorption als unveränderlich betrachtet werden; der übrige Raum aber, vermehrt um die Volumzunahme des Absorbenten in Folge der Temperatur und der Absorption, ist derjenige, welcher vom absorbirten Gas ausgefüllt wird. Nach diesen Einleitungen kann die DifFerenzialgleichung für das Gleichgewicht des Gases innerhalb und ausserhalb des Absorbenten auf- gestellt werden; die Integration derselben setzt die Kenntniss des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Dichte und Druck des absorbirten Gases voraus. Es kann nun bewiesen werden, dass, damit die absorbirte Gasmenge bei derselben Temperatur dem jedesmaligen Drucke des äussern Gases proportional ist, es noth- wendig sei, den Druck der Dichte proportional an- zunehmen; es müssen daher auch die absorbirten Gase, falls sie das Henry 'sehe Gesetz beobachten, das

Stahl, über die Theorie der Gasabsorplion 7

Mariotte'sche Gesetz befolgen. Nimmt man nun das Mariotte-Gay-Lussac'sche Gesetz als auch für die absorbirten Gase geltend an, so führt die Inte- gration der vorhergehenden DilTerenzialgleichung auf eine Gleichung zwischen den Dichten oder Drücken des innern und äussern Gases, der Temperatur und einer Grösse, die sich auf die Anziehung der Ober- fläche des Absorbenten auf das Gas bezieht und die man passend totale Anziehung nennen kann. Ist diese Grösse nicht sehr beträchtlich, was bei allen Sub- stanzen der Fall ist, welche nicht sehr betrachtliche Gasquantitäten absorbiren , alsdann ändert sich das Verhältniss zwischen innerem und äusserem Druck mit der Temperatur nicht sehr beträchtlich und alsdann wird, wenn z. ß. ein flüssiger Absorbent mit einem schwer absorbirbaren Gase bei niedriger Temperatur in einem gut verschliessbaren Gefässe gesättigt wird, das Gleichgewicht zwischen freiem und absorbirtem Gas durch eine Erhitzung des so verschlossenen Ge- fässes nicht bedeutend gestört; dies stimmt auch mit der Erklärung überein, welche Dal ton von dieser Erscheinung gegeben hat, und die man anfangs, als die Physiker mit der Gasabsorption sich zu beschäftigen begannen, als der Dal ton 'sehen Theorie der Gas- absorption widersprechend angesehen hat. Nachdem das Verhältniss zwischen den Dichten des innern und äussern Gases gefunden war, habe ich unter Zugrunde- legung der Bunsen'schen Definition des Absorptions- coefficienten eine Formel für denselben abgeleitet, in welcher die Temperatur, die totale Anziehung und eine Grösse erscheint, die sich auf den vom absorbirten Gas ausgefüllten Raum für den Fall der Einheit des

3 Stahl, über die Theorie der (iasabsorptioii.

Volumens des Absorhenten vor der Absorption bezieht und die man der Kürze wegen den MoiecuJarzwischen- raum des Absorbenten nennen kann. Das von der Volumeinheit des Absorbenten bei einer beliebigen Temperatur absorbirte Gas-Volumen hängt aber von der Dichte oder dem Druck des äussern Gases nicht ab, welches das Henry 'sehe Gesetz ist, und dasselbe hat so lange allgemein statt, als für das absorbirte Gas das 3Iariotte'sche Gesetz als gültig angenommen werden darf. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die totale Anziehung und der Molecularzwischenraum mit der Temperatur sich ändern, es ist aber nothwendig, wenigstens eine von den beiden Grössen, z. B. den Molecularzwischeiiraum, als mit der Temperatur ver- änderlich anzunehmen, um die theoretische Formel mit der von Bunsen aufgestellten empirischen vergleichen zu können. Die Bestimmung der in der Formel für den Absorptionscoeflicienten vorkommenden Grössen würde übrigens die Beantwortung noch einer andern Frage gestatten, nämlich derjenigen, die sich auf die Verdichtung des an die Oberfläche der Körper sich anlegenden und des von ihnen absorbirten Gases und auf die Grösse des Molecularzwischenraums der Körper z. B. bei 0°C. bezieht; dies würde einen schönen Einblick in die Erscheinung der Absorption, in die Constitution der Körper und in die Art der Molecular- wirkungen erlauben. Uebrigens ergibt sich aus der zuerst aufgestellten DifTerenzialgleichung, dass die Ver- dichtung des absorbirten Gases gleich ist dem Quadrate der Verdichtung der an die Oberfläche des Absorbenten sich anlegenden Gasschichte. Dass sich an die Ober- fläche der Körper eine verdichtete Gasschichte an-

Stahl, über die Theorie der Gasabsorption. 9

leg^t, ist man schon durch die Erscheinung- der Mo- se r'schen Bilder anzunehmen gezwungen worden; aber es ist dies noch durch directe Versuche von Chiozza, Magnus, Sims und Andern direcl nach- gewiesen worden. So hat z. B. Chiozza (Con- densation des gaz ä la surface des corps solides) ge- funden, dass 317,517 (Juadratmillimeter Giasoberfläche ungefähr 5 Kubikmillimeter Kohlensäure condensiren.

äussere Wirkungsgrenze Sei Iiun MN die

Oberfläche des Ab- sorbenten in einer

M

-?-, N

////// |/////P//7////////////////////////////// unmerklichen Aus- ß' dehnung- und R^ die

' Wirkungsgrenze

innere Wirkungsgrenze derselben. Sei fer-

ner MP=Z und M ein Punkt innerhalb der Wirkungs- grenzen der Oberfläche, auf welchen dieselbe an- ziehend wirkt. Das Gesetz dieser Anziehung sei durch f{Z) gegeben. Unter diesem ist, wenn (p,^i) den Druck und die Dichte des Gases in einem beliebigen Punkte innerhalb der Wirkungsgrenzen, (joq po) "nd (p> 9') dieselben Grössen für das äussere und das absorbirte Gas bedeuten, die Differenzialgieichung' für das Gleich- gewicht des Gases folgende:

dp=Q. f{Z). dZ-, von f{Z) wird vorausgesetzt, dass es nur für unmerk- liche Worte von Z einen merklichen Werth hat, für alle merklichen Z aber verschwindend klein wird. Ich behaupte nun zuerst, dass das Gesetz von Henry nur dann statt haben kann, wenn der Druck des nb- sorbirten Gases der Dichte proportional ist. Dann

wird ^j^Z) dZ=K gesetzt, so hat man:

q'

XO Stahl, über die Theorie der Gasabsorption.

= K.

Ferner habe der Absorbent das Volumen Eins vor der Absorption und M sei derjenige Raum, welcher vom absorbirten Gas im Absorbenten ausgefüllt wird, und welchen ich „Molecularzwischenraum" genannt habe. Es ist daher das Volum des absorbirten Gases, auf die Dichte qo bezogen

M

Qo Soll nun dieses Volumen mit dem Drucke des äussern

Gases sich nicht ändern, so muss bei derselben

Qo Temperatur eine Constante sein, und da auch K eine

Constante ist, so darf \— nur eine Function von

\q Qo

sein. Wird nun 1— = log. F{q) gesetzt, was er-

laubt ist, und wobei F(..) eine noch unbekannte Func- tion ist, so ist folgende Aufgabe zu lösen: Wie muss F{..) gewählt werden, damit

r = einer Function voni ), welche gp(..) sein mag?

Die DifFerenziation der vorhergehenden Gleichung nach Q^ und p^ gibt folgende Gleichungen:

HQo) \Qof Qo

FiQ')-FM' _ //£_n Q^ [FiQo)y ^ ^Qo>'Qo'

[wenn tp^..) und F'(...) statt ^^ und ^^^ ge- schrieben wird].

Stahl, über die Theorie der Gasabsorption. 11

Aus beiden Gleichungen folgt folgende:

1 ^:v) _ , IM

Man muss daraus schliessen, dass jede Seite der vorhergehenden Gleichung eine Constante ist. Heisst diese 17, alsdann ist:

f\q) _ n

V {q) q

Da aber = -7^ ist, so folgt:

dp = 77. dQ. oder p = Tl. q^ welches das Mariot te'sche Gesetz ist.

Da nun das ahsorbirte Gas das Mariot te'sche Gesetz befolgt, so ist es sehr wahrscheinlich, dass es auch das G a y - Luss ac 'sehe Gesetz befolgt. Wählt man daher das Mariotte-Gay-Lussac'sche Gesetz als Bestimmungsgleichung zwischen Dichte und Druck des Gases, so kommt man auf folgende Glei- chung :

Po Qo Hier ist « der Ausdehnungscoeffizient des Gases, t die Temperatur und e die Grundzahl der natürlichen Logarithmen. Diese Gleichung bestimmt das Verhält- niss zwischen den Dichten und Drücken des freien und des absorbirten Gases. Die Verdichtung der an der Oberfläche unmittelbar anliegenden Gasschichte

K

aber ist gegeben durch e^il+ar ^^^ daher gleich der Quadratwurzel aus der Verdichtung des absorbirten Gases. Für die Dichte in einem beliebigen Punkte innerhalb der Wirkungsgrenzen hat man:

12 Stahl, über die Theorie der Gasabsorplion.

1 ^ at

Q = Qq e = ^'('^M wenn die Temperatur

nicht berücksichtigt wird.

Hier muss g? (Z) für merkliche Worte von Z : I werden: Berechnet man nun die Masse der an der Oberfläche eines Körpers verdichteten Gasschichte, und ist 0 die Oberfläche desselben, so hat man, wenn M die Masse bedeutet:

dM = O.Qq ' (pZ. dz-^

und daher: M= O-q^K^ wenn |qp (Z) dz = K^ gesetzt

wird.

Die Verdichtung ist daher: Oqq[K^ - 1), und daher stets der Dichte des Gases proportional. Die Formel für den Absorptionsconffizienten aber ist folgende:

K

\.-\-at

(«)

1 + af I

Dieselbe ist streng gültig und sie setzt die Kenntniss des Gesetzes voraus, nach welchem sich M und K mit der Temperatur ändert; auf der andern Seite erstrecken sich die Bestimmungen des Absorptionscoeffizienten auf keine beträchtliche Anzahl von absorbirenden Flüssigkeiten und auf geringe Temperaturen (Nach Bunsen von 0^-20" C, nach Carius von 0-25'^ C). Es scheint daher weniger notinvendig zu sein, nach- zuweisen, dass die Formel (a) mit den bisher be- kannten Erfahrungen übereinstimmt; denn dies scheint sie zu müssen; die empirischen Formeln von Bunsen für den Absorptionscoeffizienten haben näm- lich alle die Gestalt: A-Bt hCt^^ und es ist nicht schwer, M und K mit der Temperatur so als veränderlich an-

Stahl, über die Theorie der Gasabsorplion. 13

zunehmen , dass die Formel [a) nach den Potenzen von i entwickelt mit der empirischen übereinstimmt; ich werde daher dasjenige darüber sagen, was ich darüber gefunden habe.

Wird angenommen, dass derjenige Raum, welcher von den Molecülen eines Körpers ausgefüllt wird, ein für allemal constant ist, alsdann darf der Molecular- zwischenraum gleichgesetzt werden demjenigen Raum, welcher von den Körpermolecülen z. B. bei der Tem- peratur 0° C. nicht ausgefüllt wird, vermehrt um die Volumzunahme des Absorbenteii durch die Temperatur und in Folge der Absorption, üeber die letztere Grösse liegen nun einmal keine Messungen vor und anderseits werden dieselben für den Fall, dass vom Absorbenten keine sehr beträchtlichen Gasquantitäten absorbirl werden, wahrscheinlich vernachlässigt wer- den dürfen. Der Molecularzwischenraum bleibt unter dieser Voraussetzung, so lange der Absorbent derselbe bleibt, immer derselbe, und ist die Volumzunahme des Absorbenten in Folge der Temperatur in der Formel l—ßt-i-yi^-]''.-- ausgedrükt, so ist (wenn der Absor- bent bei C. die Volumeinheit besitzt) der Molecular- zwischenraum folgender Ausdruck, wenn derselbe für 0^ mit bezeichnet wird :

Mo - ßt -i-yt' ^ . -^ Damit sich nun dieser Ausdruck auf die Einheil des Volumens (vor der Absorption bei der Temperatur /) bezieht, muss dieser Ausdruck noch durch 1-ßf+y/^H-.- dividirt werden.

Die Formel für den Absorptionscoeffizienten hat eine ziemlich complizirte Gestalt ; sie vereinfacht sich aber für solche Gase, bei denen in Folge der Ab-

14 Slabl, über die Theorie der Gasabsorption.

Sorption eine zu vernachlässigende Voliimzunahme des Absorbenten eintritt, durch folgenden Umstand: Es haben nämlich Bunsen für die Absorption durch Wasser und Carius für die durch Alcohol den Ab- sorptionscoeffizienten einiger Gase (für Wasser: Wasserstoff, für Alcohol: Sauerstoff und Kohlenoxyd) constant gefunden. Heisst nun ein solcher constanter Absorptionscoeffizient für einen Absorbenten a^, und wird der Absorptionscoeffizient eines andern Gases durch diesen dividirt und die Summe der Exponenten

von e mit -. bezeichnet, wenn noch der Aus-

dehnungscoeffizient für die Gase als derselbe ange- nommen wird, so ist die Formel für den Absorptions- coeffizienten eines beliebigen Gases durch Wasser oder Alcohol :

D

a = Gq e Berechnet man nach dieser Formel die Worte von D z. B. für / = 0, so findet man, entgegen dem, was man erwarten würde, dass, das Moleculargewicht des Wasserstoffs als zwei angenommen, die Worte von D sich nicht wie die um 2 verminderten Molecular- gewichte der Gase verhalten. Es ist dies bemerkens- werth, denn es scheint von vorneherein nicht sehr natürlich für die gegenseitigen Actionen der Molecüle ein anderes Gesetz anzunehmen, als das, welches Newton für die Weltkörper gefunden hat (einfache Proportionalität der Wirkung mit dem Producte der Massen). Als Beispiel für den Fall, dass W^asser der Absorbent ist, von den Verhältnissen, in welchen bei demselben äussern Gasdruck und bei C. die

Stahl, über die Theorie der Gasabsorption. [5

absorbirten Gase mehr gepressl sind als Wasserstoff führe ich folgende Zahlen an:

Aethyl

1.7

mf

Stickstoff

11.0

n

Sauerstoff

2.2

'?

Grubengas

2.9

jj

Kohlengas

1.77

??

Methyl

4.7

57

Die Grössen M^ und K habe ich direct nicht be- rechnen können; die Kenntniss derselben würde aber sehr vorlheilhaft sein, einmal für die Gasabsorption, und, weil auf eine einfache Art ungeheure Drücke zur Compression der Gase entwickelt werden können. Wahrscheinlich lässt sich aber M^ beobachten und zwar auf folgende Art: Jener Moment, bei welchem das absorbirte Gas flüssig wird , erscheint für die BeoT)achtung dadurch ausgezeichnet, dass dabei plötz- lich eine grosse Quantität Gas mehr absorbirt wird, und dass, wenn der äussere Gasdruck z. B. durch Compression vermehrt wird, kein Gas mehr absorbirt wird. Kennt man nun das absorbirte Gas-Volumen in diesem Momente und die Dichte des condensirten Gases aus einer directen Beobachtung, so Hesse sich die Grösse M und daraus M^ berechnen. Um aber eine beiläufige Idee von der Grösse M^, K und der Verdichtung eines Gases zu bekommen, nehme man 1 -^ z. B. = 520,000 an. Man erhält da für Wasser-

Stoff (Absorbent-Wasser): ff = 9.2 und die Verdich-

tung im Absorbenten 1 = 10.000.

Ich behalte mir den Gegenstand zu weitern Unter-

16 Stahl, über die Theorie der Gasabsorpliou.

siichung^en vor; derselbe scheint auch eine genauere experimentelle Untersuchung, für weitere Temperatur- intervalle, und namentlich bei condensirbaren Gasen zu erfordern, als dies bisher geschehen war.

Die Entdeckung der Nilquellen.

Von Dr. J. J. Egli.

,Die Erde tritt nur allmälig aus dem Dunkel her- vor.' Dieses Wort' bestätigt kein Erdtheil voll- kräftiger als Afrika und in Afrika kein Gegenstand mehr als die Quelle des Nils dieses grössten der afrikanischen Ströme, des ,werkthätigen2', dieses historischen Stroms, in dessen Gebiet wir, ,wie an keinem andern Flusslaufe hinaufwandern zu den dun- kelsten Fernen der Vergangenheit.'

Das dritte Jahrtausend seiner Geschichte war schon zur Hälfte über dem Wunderslrom weggezogen, als über dessen Ursprung noch keiner der Aegypter, Libyer noch Hellenen Bescheid wusste und ein In- haber ägyptischer Weisheit jenes Märchen von Krophi und Mophi vorbrachte, welches dem Vater der Geo- graphie ein ungläubiges Lächeln entlockte^. Die Vorstellungen, welche durch die Expeditionen der Lagiden so glücklich der Wahrheit sich näherten, bedurften noch zwei weitere Jahrtausende, um die eine Thatsache vom Nilursprung festzustellen.

') Riller, Geschichte d. Erdkde., heiausg. v. Daniel 1861 p. 1.

2) Ilerod. II. 11.

■') Hör od. II. 28. Vergl. übri-roiis Tarilus. Annal. II. 61

Egii, die EnldeckuDg der Nilquellen. 17

Wer sich unterfängt, dieses Auf- und Unter- tauchen gewonnener Erkenntniss in einen engen Rahmen zu bringen, läuft von der StofFmasse fast erdrückt Gefahr, nur die nackten Thatsachen an einander zu reihen. Das würde jedoch dem Zweck der vorliegenden Schrift nicht entsprechen , und sie zieht es vor, jene Klippe auszuweichen, indem sie viel Material über Bord wirft.

I. ALTERTHUM.

Am Nil auf und ab pulsirte früh das Leben der Völker. Die Invasion , welche der alte Thron von Memphis unter Sesortosis (—2300) ausführte, machte die Nubier zinspflichtig. Die obere Nilregion gew^ährte der durch Hyksos vertriebenen (13.) Dynastie ein Asyl und bildete auf Jahrhunderte das eigentliche Reich der Pharaonen, bis es gelang, die nomadischen Usurpatoren aus Aegypten zu vertreiben. Ob im Verlauf Nubien an Emancipation dachte? Wenigstens erneuerte sich der frühere Kriegszug unter Ramses Miamen, den die Griechen als Sesostris aufführen (—1400). Der be- rühmteste Eroberer , welcher je den Herrschersitz Thebens eingenommen , zog hinauf in jene Gebiete, wo, von Barbaren umgeben, ein Ableger ägyptischer Cultur seine Blüthen trieb. In der Folge aber stiegen die äthiopischen Könige von den Kataraklenländern herab: auf dem Throne, dem sie einst tributär ge- wesen, herrschten sie, bis die Dodekarchie den Weg bahnte zu Psammetichs folgenschweren Reformen (—650), welche die Anhänger des Alten nach Nubien trieben und so eine neue Wanderung ägyptischen Wesens veranlassten.

XII. i. 2

\^ Gglif die Entdeckung der Nilquellen.

Von all diesen Fluctuallonen des Völkerlebens zog die geographische Kenntniss wenig dauernden Gewinn. Noch im homerischen Zeitalter (—950) ist Thebae am Aigyptos die äusserste Südstadt. Jenseits wohnten, als südlichstes Grenzvolk der Erde, jene Aithiopes , welche durch ihren (griechischen) Namen an die Sonnenglut erinnern: dort , färbt", um mit dem alten Tragiker* zu reden, ,der Gott in seinem Laufe mit des Busses finsterm Glänze die Haut des Menschen und kräuselt ihm dörrend das Haar'. Wie alle Quellen und Flüsse, so sollte auch der Nil dem Okeanos entströmen, und noch der Geograph von Milet2 führt die Argo durch den Nil in das mare inlernum zurück. Verschiedene Versuche sollten die Nilschwelle erklären ; dass aber in Homer selbst der Fluss der anschwellende heisst^, lässt aus Analogien schliessen, dass man früh auch der wahren Ursache auf der Spur war.

So ist denn der Halikarnassier ,von klassischer Bildung und feinem ßeobachtungssinn der erste wich- tige Augenzeuge', der Aegypten bis Elephantine be- reiste (ca. —445) und uns vom Nil Bericht gibt. Noch vier Monden weit reiche der bekannte Theil des Strom- laufs. Bei Syene fangen die Aethiopen an, unter denen die Leute von Meroe und die Makrobier zu unterscheiden seien. Die ersten vier Tagereisen (durch die kleinen Katarakten) müsse das Fahrzeug an Leit-

') Theodectes von Phaseiis in Prichard I. p. 431.

2) Hekatäos (ca. 500), Schollen zu Äpollon Rhod. Argon. IV. 259.

3) Homer, Od. IV. 477 u. 581. Vergl. auch Strabo I. 2, 30 u. XVII. 1, 5 (Pariser-Ausgabe von Müller elc).

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. 19

seilen g-ezogen werden. Nachher komme man in ruhiües und seearti"- breites Gewässer mit der Insel Tachompso' (unser Derar).

Weilerhin sei der Strom völlig unfahrbar (die grossen Katarakten); erst nach 40 Tagmärschen längs des Flusses komme eine schiffbare Strecke, auf wel- cher man nach 12 Tagen Meroe erreiche. Wo aber die Quellen liegen, sei nicht zu erfahren gewesen, weil Niemand es wisse. Jedenfalls entspringe der Nil nicht aus dem Okeanos, sondern komme sehr weit her aus dem libyschen Westen^. Die herodotische Annahme einer Verschwisterung von Nil und Niger hat zwei Jahrtausende weit überdauert 3; erschüttert jedoch wurde sie zur Zeit der Lagiden, wie schon der indische Zug des Mahedoniers ( 330) in anderer Hin- sicht Licht auf die physische Geographie, speciell für den Nil, geworfen halte*.

Die Streifzüge nach Inner- Afrika befriedigten ein Hedürfniss des Kriegs und des Luxus: sie waren Elephaulenjagden in grossem Maassstab , theils aber auch lormliche Entdeckungsreisen, durch meteorolo- gische Speculalionen über die fernen Ursachen der Nilschwelle veranlasst und auf Kosten der Regierung unternommen, weil^ Ptolemäus PhUadeJphus (•{• 273) , wegen Wissbegier und Körperschwäche immer neue

') D. h. Krokodileninsel, s. Ghampollion, L'Egypte sous les Pharaons I. p. 152.

2) Hcrod. II. 31.

3) Vergl. Bullelin de la S. d. G. Mars 1829; Ritter, Erdkde., 2. Aufl. I. p, 523—528 u. RüppelJ, Reise in Abessinien I. p. 381.

^) Strabo, XV. 1, 25. 5) Strabo, XVII 1, 5.

20 Egli, die Entdeckung der Nilquellen.

Zerstreuungen und ErL^ötzlicIikeiten suchte'. Gewiss drangen die Jäger wie zun) Rns Fellis (= Cap der Elephanten), also dem Cap Aromaliim der Alten oder Gardafui der Portugiesen oder Ras üscliard Hal'un der Araber so auch bis zu dvn äquatorialen ()uelire- vieren des Nils vor. Die alexandrinisclien Gelehrten waren in der Lage, alles zu sauimein, was sich auf die damalige Kenutuiss der Erde bezog.

Aus dieser Schule ging Eratosthenes (—200) hervor, der grösste Gelehrte seiner Zeit, der durch Messung eines Breitengrades zuerst den umfang der Erde zu bestimmen versuchte'. Ihm folgte Straho (50), dem Tyrier Marin us 2 hingegen Claudius Ptoiemäus (140).

Die Vorstellungen des Geographen von Pelusinm, wie sie in seiner Geographie entwickelt und die durch den Alexandriner Agathodämon (5. Jahrh.) carto- graphisch niedergelegt worden sind, nähern sich der Wahrheit auf überraschende Weise. Ptoiemäus^ keimt die afrikanische Ostküste bis zur Handelsstadt Hhapia (an der Lufijimündung?) und hat von SchilTern gehört, dass weiter nach Süden die Küste zu einem Vorue- birge vortrete, das er Praswn promonlnrium (Cap Del- gadü?) nennt. In dieser Geoeiid lie<)e die Insel Menu- thias (Zanzibar?j; auf der festländischen Küste aber wohnen die nienschcnfressmdm Aelkiopen (etwa die Aiiia- kua? diese wohnen freilich heutzutage viel südlicher) und weiter im Innern erheben sich seine Lunae Monies

') Cleomedes, Circ. insp. IIb I.

-] Niich Masudi ZeKgenossc Neros (GO).

^) CI. Ptolcm. Geogr. IV. 8, 3. l. 1. p. 283 ed. Nobbe.

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. 21

oder Mondberge (Unyainuesi oder aber Kilimandscharo- Kenia?), die mit iliren Schneemassen zwei See'n speisen';, einen ISili palus orienialis (Nyanza?) und einen Mli pnlus occidenialis (Luta Nzige Lake?). Hier seien die Quellen des Mls, und in der That, diesem Slroni geji^eniiber, den Ptolemäus freilich zu weit nach Süden (12 30' S. ßr.) verlegt, erscheinen die abes- sinischen Flüsse, sowohl der Asiaboras (Atbara) als der Aslapus (blauer Fliiss), der deiü Coloesee (Zana) entspringt, als blosse Nebengewasser, während sie nach Slrabo's Vorstellung dem Hauptstrom mindestens ebenbürtig waren.

Vor Ptolemäus war von Norden her auch die mittlere Region unsers Bahr el Abiad besucht worden ein Ziel, das bis zur ägyptischen Expedition nie wieder ein Europäer erreicht hat. Nero (60) hatte zwei Haiiptleute abgesandt, die Nilquellen zu suchen. Auf der Fahrt2) kamen sie zu so ungeheuren Sümpfen, dass deren Ausdehnung selbst den Anwohnern un- bekannt war. Zu Laude konnte man jene Reviere gar nicht und zu Schilfe nur schwierig passiren , da sie mit hohem Grase und Röhricht durchwachsen waren.

Hält man die Berichte des Ptolemäus und der neronischen Centuriouen zusammen, so ist unverkenn- bar, dass in den Hauptzügen unsere Kenntniss der obersten Nilrei>ionen ungleich vollständiger war vor 17 Jahrhunderlen als vor einem 'A Jahrhundert.

') ro r>7S Stlrifi^g oQog «qp 'ov vnoSi-xovxai r«s Xiövaq al zov NtiXov li^vni. ib

2) Sencca, Quaest. nal. üb. VI. 8.

22 Eg''. die Entdeckung der Nilquellen.

II. MITTELALTER.

Die Flnsterniss der nachrömischen Zeit (476 u. ff.) wurde kaum vom Schimmer der MorgenröUie ge- troffen, als sich eine gewaltige Barriere zwischen Orient und Occident legte (640). Von den Christen, welche in das Innere Afrikas flohen oder, wie in den obern Nilliindern , dem Andrang des Islam widerstan- den, war Europa abgeschlossen. Der Nil verödete mit Alexandria, dessen Gelehrsamkeit in Bagdad und an- dern Kalifenstadten eine Zuflucht fand. Die meisten Schriften der Griechen und Römer wurden in's Ara- bische übersetzt, und das europäische Mittelalter lernte früher den „Batolema" als den Ptolemaus kennen. Mit Wehmuth bemerken WMr auf den Carfen jener Zeit, z. B. der Florentiner Seekarte von 1351', den den Rückgung in der Kenutniss der Erde. lu den arabischen Geographen hauptsächlich in Edrisi (1150), Abulfeda (1320), Ebn ßatula (1350), Leo Afri- kanus (1520) und wohl noch weit vollständiger in lange unediert gebliebenen^, finden wir die damalige Kenntniss des Orients und insbesondere der obern Nilgebiete.

Die vielgereisten Araber, Edrisi voraus, sc!iliessen sich in der Hauptsache Ptoleuiäus an : Unter 16° Süd- breite seien, am Djbel el Komri, zehn Nilquellen, die je 5 und 5 in zwei See'n sich sammeln ; jeder dieser See'n sende 3 Abflüsse in den einen grossen unter dem Aequator gelegenen See Cura, welchem

') S. Peschel, Geschichte d. Erdkde. p 177.

2) lieber Bloqaddazy s. Peleriuanus MUUieilgen. 1864. p. 355.

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. 23

nach Norden der Aegypii Mus, nach Westen der Nilus nigrorum entströmen. Abnifeda gibt ibm sogar einen ösllichen Ablauf zum indischen Ocean, unsern Makadsch oder Zebee. Von den Arabern hat unsere Erdkunde u. a. die Bezeichnungen Bahr el Abiad weisses Wasser und Bahr el Azrek blaues Wasser angenommen. So waren die Araber des Mittelalters auf der richtigen Fährte, während Europa, durch eine irrige Deutung- der adulitanischen Hafeninschrift verleitet", lange den Albara für den Ouellfluss des Nil hielt. Man begegnet diesem Irrthum noch im 15. Jahrhundert; er spuckt selbst noch in dem bekannten Projekte Albuquer- que's, der, um Aegypten auszuhungern, den Atbara in das rothe Meer ableiten wollte 2.

Die ersten, welche den Rechtgläubigen zum Schrecken Freundschaftsverhältnisse mit den Sara- cenen anknüpften, waren die Venetianer; aber directen Zugang in die obern Nilreviere verschafften uns die Seefahrten der Portugiesen.

Nachdem Marco Polo (1298) die seit den Kreuz- zügen datirende Annahme von der Existenz eines priesterlichen Christenkönigs in Mittel-Asien unhalt- bar gemacht und von dem Lande Abasch und seinem christlichen ISeguz Neguschi {= König der Könige) er- zählt hatte, gelangten die von Johann IL ausgesandten Mönche an den Hof des vermeintlichen Preste Joam

') Der ägyptische Mönch Kosmas (f 547) bezog nämlich die Eroberungen in Semene , »jenseits des Nils« (Tacazze) , auf Ptolemäus Euergetes anstatt auf den abessiniscben König Aizomas. S. in Fabr. Bibl. Gr. lib. III. c. 25 § 32.

2) S. Europa 1861, Nr. 7.

24 Egl> > (lie Entdeckung der Nilquellen.

(1490). In dem wirren Jahrhundert ihres Aufent- halts* bereisten die Jesuiten 2 das Land, die östlichen Theiie wenig-stens, überlieferten uns auch Erkun- dig^ungen über die westlichen Gebiete und auf astronomische Beobachtungen gestützt jene Carten, welche die Grundlage für alle seitherigen geworden sind 3. Mit Ausnahme des Arztes Poncet'* und

*) unter der Regierung des Neguz Socinios (1632) wurden die Portugiesen theiis ermordet, Iheils verjagt, und das Land verscbloss sich für die Fremden.

2) So insbesondere die beiden Patres Peter Paez und Jerome Lobo. Der erstere hielt sich Iß^^^j, also bis zu seinem Tode, in Abessinien auf. Er hinterliess eine portugiesisch geschriebene Relation, in welcher er das Land und dessen Geschichte beschrieb Diese Schrift wurde durch den P. Franz de Carvalhao nach Rom gebracht und scheint verloren gegangen zu sein bis auf das Bruch- stück, welches Äthan. Kircher in seinem Oedipus AegypUacus mitlheill. Die , Nilquellen' finden sich hier (in lateinischer Ueber- setzung) beschrieben Synt. I, c. 7, pp. 57 ff. Lobo war später (iG'Vii) 'D Abessinien und verliess das Land zu Folge dem Decret Socinios (Note 1). Seine Reisebeschreibung wurde zuerst durch Legrand in's Französische übersetzt: Voyage historique d'Abyssinie, 1728. Auch er hatte die , Nilbrunnen' besucht und beschreibt sie (in der französischen üebersetzung) p. 105 ff.

3) Und sich wiederholt gegenüber neuern Angaben als riditig erwiesen haben, namentlich auch gegenüber Bruce, der (Travels III, pp. 615 ff.) sich die Ehre der Entdeckung der ,Nilbrunnen' zuschrieb und [Tr. I, p. 237) seine Vorgänger Paez und Lobo für Betrüger erklärte (die die Nilquellen und den Alatalall nie ge- sehen hätten) und ihrer Carte eine absichtlich falsch gezeichnete entgegensetzte, S. auch J. R. G. S. XVII, p. 5.

^) Dieser französische Arzt, an den Hof des abessinischen Königs berufen, reiste 1698 durch Sennaar nach Gondar und kehrte 1700 auf derselben Route zurück. Siehe seine Relation abrig&e d'un voyage en Elhiopie.

Egli, die Entdeckung der Nilquetlen. 25

einer Franciscanermission (1750) war der Schotte Bruce' der erste, der (17''V72) das kühne Wagstück einer abessinischen Reise wieder ausführte.

Was durch diese Pioniere ätliiopisclier Kenntniss und was durch die Neuern: Salt-, RüppeP, Cailliaud'*, Isenberg^^ Krapf^, Beke^,

') Er war über Svene nach Kosseir gegangen , vom rolhen Meer nach Abessinien und kehrte über Scnnaar nach Aegypten zurück. Vergl. seine Travels to discover the sources of tlte Nile, 5 Bde. 1790. Seine Beschreibung der ,Ni]bruiinen' findet sich im dritten Band pp. 595 und weiter.

2) Der Engländer Henry Salt hat sich namentlich um die Beschreibung y.ahlreicher Denkmäler verdient gemacht. Siehe s. Account of a voyage to Abyssiiua etc. 1814.

^) Eduard Rüppel, ein Deutscher, vorzugsweise Zoolog, hielt sich zwei Jahre (iS-^'/ss) '" Abessinien auf. Vergl. seine Jleise in Abessinien^. 2 Bde. IS-^y^o.

^] Ein französischer Juwelier , der in die Dienste Mehemet Alis getreten war und mit dem äjjvptischen Heer durch Nubien und weiter vorrückte. Er hat unter Aiiderm auch die berühmten Smaragdgruben der Alten wieder entdeckt. Siehe seine Voyage ä Meroe, 1823 fl". Wilkinson, der Abessinieni eisende, nennt ihn (in J. R. G. S. 1851, p. 154) tliat indcfaliyable travcUer und spricht mit viel Anerkennung von seiner (larte.

^) K. W Isenberg ein Wüi Iteniberger, der als Missionär in den Dienst des Church Missionary Society trat und zwei Mal (18^''^3) in Abessinien etc. sich aufliiell. Er war 1839 vom IlaTcn Tajurrah aus in das Innere gelangt. Siehe seine Schrift: Abessinien und die evangdisclie Mission, 1844.

^) L. Krapf, Landsmann, Berufs- und Reisegenosse Isenbergs, war 18 Jahre in Abessinien, Schoa und der Kilinia Njaro-region. Vergl. seine Travels, researclies and missionary lubours 18G0 (sind den früher erschienenen .Reisen in Osl-Africa' vorzuziehen).

^} Ein Engländer, der 1811 mit Krapf in Schoa war und längere Zeit für den Sobat als wahren Nil plädirte. Vergl. seine in Yejubbi

26 Egli , die Entdeckung der Nilqiicllen.

Schlmperi. Heuglin2, Miinzinger-^ und andern zu Tage gefördert worden, kann iiiei* nur angedeutet werden.

III. ABESSINIEN.

Dem Chaos entstieg in lebensvoller Gestalt ein herrliches Alpenland mit Volk und Reich. Ein Reich, dessen Sagenzeit die Königin von Saha zur Stamm- multer einer salomonischen Dynastie erhebt und dessen Geschichte heller wird seit Frumenlius, dem ersten Bischof Abessiniens (827).

Dauernder als eine über 300jährige Entthronung wurde den Neguz die Gefahr, als zur Innern Zer- rüttung die Kämpfe sich gesellten gegen den von Nord und Ost andringenden Islam und gegen die von Süd und West einfallenden Neaer. Solchem Stoss

9. Febr. 1843 entworfene Carte von KafTa etc. im J. R. G. S. XVII, p. 84.

') Ein deutscher Arzt, der länjtere Zeit für naturhistorische Zwecke in Tigre und andern abessiiiiscben Landschaften zubrachte (1838 und \\ieder 1840).

2) Tlieod. V. IltMiglin, hauptsächlich Zoolog, hat in Abes- sinien und den Uferländern des rolhen Meeres eine Menge von Kreuz- und Querfiihrlen gemacht. Wurde österreichischer Consul in Charlura.

3) Werner Munzinger, ein Schweizer, der nach längerem Aufenthalt unter den christlichen Botjos seine Schrift: Ueber die Sitten und das Rvcht der Bo:jos 1859 crsclieineii liess. Vor 1852, wo die Lazaristerimönche Stella und Sapeto hinkamen', war das Land der Bogos so viel wie unbekannt geblieben. Zu Anfang 1854 wurde es von Plowden, d(>m englischen Consul in Massaua, im Mai desselben Jahres von Munzinger besucht, der 1855 dort seiueo bleibenden Aufenthalt nahm.

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. 27

konnte nur ein kräftiger, thätiger Menschenschlag widerstehen. Sinnreich vergieicht sich das abessini- sche Volk mit der Denguelat, der prachtvollen von stachli<ier Hülle umgebenen Ciiicusblume '. So auch das Land. Von dem Meere trennt es der glühende, wasserleere Küslensaum der Samhara; über Enarea und KalTa läuft es in wilde, wenig bekannte Berg- reviere aus, und im Norden und Westen liegt eine 8 12 g. Meilen breite, feuchte Waldregion vor, wo ein fetter, schwarzer Boden (Mazaga) mit flies- senden und stehenden Wassern wechselt, wo in hochschatligen Wäldern Elephanten, Nashörner und Eber, Büffel und Carnivoren sich tummeln, im Laub- werk Affenheerden und Vögelschaaren schreien, und wo im Kampfe gegen die Bestien, die Aelpler und ßischarin , wie gegen die schwüle, fieberdrohende Lult die verachteten Schangalla (= die Schwarzen der Tiefe) wohnen: die Elephantophagen und Stru- thiophagen oder wie am Takazze die Hylo- phagen und Ichthyophagen, die zur Zeit der Ueber- schwemmung in die zahlreichen, selbstgegrabenen Sandsleinhöhlen der Vorberge als Troglodyten2 sich zurückziehen.

Ko\la (= Tiefland) heisst dieses äthiopische ,Ta- rai', und richtiger als wir, die wir den Namen der alten Küslenstadt Abassia^ auf das Binnenland über-

*) Rilter, Erdkunde I, p. 207.

2j Vergl. Herod. Hb. IV. 183 und Lyon: A narrative of travels p. 189.

^} Latinisirt aus dem arabischen ,Habesch'.

28 Egli, die Entdeckung der Nilquellen.

tragen 1, nennt im Gegensatz zur Kolla der Abessinier sein Land Alberegran (= Hochland) oder Daga (Bergland). Dort oben, auf der wohlbewässer- ten , fast waldlosen , stellenweise trefflich bebauten, sonst aber von Alpweiden eingenommenen, vieh- reichen Hochterrasse, wo der ewige Frühling nur durch die gewitterüppigen Tropenregen unterbrochen vsrird, wo Schneegebirge die Plateaux umstehen und so vieles mangelt, was in Thier- und Pflanzenwelt an Afrika erinnern könnte2, wo wir, dem Aequalor so genähert, die Agrumen und die Weinrebe wohl durch die Portugiesen importirt wieder finden: dort ist die Geburtsstätte der rechtseitigen Tributären des Nils. In dem reizenden Alpenlande Gojam, Be- zirk Saccala, dem Sitze unvermischter, heidnischer Autochthonen, die noch jetzt den Landesgöttern, dem Genius des Nils und dem Bambus, alljährlich opfern, auf grasreicher Höhe im halbmondförmigen Thale, angeblich 9900' üb. M. , fand zuerst Paez die drei

^) In der unrichtigen Form Abyssinia (anstatt Abassinia oder Abessinia) schon von Johnson in seiner Ucberselzung von Lobo's Voyage to Abyssinia 1735 angenommen. S. Isenberg, Abessinien und die evangelische Mission, 1844, I, p. 1. «

2) Die grossen afrikanischen Iluftliiere wie Elephant, Nas- hörner, Dromedar, Büffel, Antilopen und die grossen Steppen- raubthiere fehlen, ebenso Zebra und Giraffe (die Zebra's, welche einst als kostbare Geschenke von llabesch an die europäischen Höfe gesandt wurden, stammten ans den Waldungen der Galla- länder). Im Zana gibt es noch Flusspferde (angeblich jedoch sind sie dort kleiner), aber keine Krokodile. Zahlreich ist die Zubbee (Hyaena crocuta), die allnächtlich die Strassen von Gondar besucht und bis 12000' üb. M. vorkommt. Rüppel, Neue Wirbellhiere 1832, p. 40.

Egli, die Entdeckung der Niiquellen. 29

wasserreichen ,Nilbrnnnen', nach seiner wie Bruce's Meinung die Quellen des wahren Nüs i, wie sie durch ein sumpfiges Terrain sich winden, um hierauf in felsigem Bett als rauschender Mühlbach hervorzu- brechen, und im Zickzack über Felstrümmer stürzend, zum Plateau des Zana (60Ü0' üb. M.) hinunter zu rauschen.

Dieser, der Bahr Zena der Portugiesen^, der Tana der Amhara, ist ein gegen 10 Meilen langer und bis 7 Meilen breiter, herrlicher, mit grünen, be- wohnten Inseln übersäeter Alpensee, dessen klare von Schilfkähnen belebte Flut den tiefblauen Himmel wieder spiegelt. Von den kühnen Trachyt- und Basaltgebirgen, die die Uferebene umkränzen, stürzt eine Fülle warmer Quellen in mehr als 30 Berg- strömen herab. Ohne mit dem Seewasser sich zu mischen, zieht der ungestüme Gebirgssohn hindurch, bricht mit Gewalt aus dem südöstlichen Winkel des Sees hervor , bildet 2 Meilen weiter den 40' hohen ^/a/a-Fall3 und stürzt sich dann durch seine Via Mala, über welche die Portugiesen die Brücke Deliei ,die einzige, die der Nil trägt' - gesprengt haben. Weiterhin die Bergwasser sammelnd, beschreibt der Abai (= Riese) seine Spirale um das Land Gojam,

') Dass diese Ansicht lange die herrschende blieb; zeigt sich weiter unten.

2) Jellez, Historia general de Aethiopia a Alta 1660, p. 14.

3) Eigentlich Tis Esät = Feuerrauch (•/. R. G. S. XIV, p. 49). Den gebräuchlichen Namen gab ihm P. Lobo (s. in Legrand's Uebersetzung, p. 108) nach einem unbedeutenden Fluss, der ober- halb des Wasserfalls in den Abai mündet. Vergl. darüber Bruce, Travels, III, p. 425!

30 Eg'' ) ^'c Entdeckung der Nilquellen.

die Peninsula der Portugiesen, und briclit endlich, als Bahr ei Azrelv', in 3 KatnralUen, deren ol)erste 280' hoch ist, hinaus in das Land der Schwarzen, beruhigt, Goidwäsciien unterhaltend, Sennaar ent- gegen, zur Vereinigung- mit dem weissen Nil.

IV. BELLET-SUDAN.

Es liegt nicht in meiner Aufgabe, zu zeigen, wie und warum das Stulenland der Nilkatarakten so aufTailend spät bekannt wurde. Bekanntlich kam noch die französische Expedition von 1798 nicht über Aegyp- ten hinauf. Indem sie aber an der , Marke der Civi- lisation' stehen blieb, sorgte sie wenigstens für ein genaues Kartenbild der Cataractes minor 2. Was Mehemet Ali seit 1812 in Ünter-Nubion begonnen, das vollendete er 8 Jahre später in der obern Hälfte des Landes. Sie waren gezählt, die Tage des mäch- tigen Reiches, welches drei Jahrhunderte i'riihi;r auf dem Duab zwischen dem weissen und blauen Nil durch einen Schangallaslamm gegründet, die Fungi (= Sieger) zum Islam übergeführt hatte, ganz ähn- lich wie , einst durch siegende Germanen christliche Reiche gestiftet wurden'. Noch träumt man im , Ost- Sudan' so gerne von jenen Zeiten, wo die zu Sen- naar, FazokI und Roseires, zu Berber und Ilalfai sich ihre Häuptlinge wählten und mit der königlichen Würde bekleideten, wo auf der Insel Argo noch tausend Schöpfräder kreisten, wo die Frauen goldene

^) Eine Discussion über den Aba'i, als Oberlauf des Bahr el Azrek, s. im J. R. G. S. XVII, p lo ff. 2) Descript. de l'Egypte Ant. I, 30.

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. 31

Ringe in Nasen und Ohren, an Händen und Füssen trugen und in seiner Heimat auch der dunkle Mensch sich seines Lehens freuen durfte <.

Allein selbst jene berühmten Reiterschaaren, die, in Schiippenlvürasse gekleidet und mit Lanzen be- wafTnet, auf Donoolahengsten zu fechten pflegten, die niebesiegten Scheikie unlerlagen auf dem Blutfelde von Korii, und die ßrandnacht, in welcher der kühne Melik, zubenannt el Nimmr (= Tiger), Mehemet Ali's jüngsten Sohn Ismael Pascha den Flammen über- lieferte 2, wurde durch den von Kordofan herbei- eilenden Mohamed Beij el Drfterdnr schrecklich gerächt. Er wurde el Djelad (= Henker) des Landes ; aber Bellet-Sudan war der ,Civilisalion' geöffnet, und in der That, die Vervollständigung unserer Kenntniss der obern Nilländer ruht ganz wesentlich auf dem Kriegsylücke des Sesoslris der ägyptischen Neuzeit.

Dort wo der blaue Fluss sein durchsichtiges, fast meergrünes Wasser zu den angeblich drei Mal stär- kern, trüben, milchähnlichen Fluten des weissen Nils gesellt, um noch weithin gesondert neben ihm hin- zufliessen% also zwischen der Confluenz zweier Ströme, deren jeder die majestätische Breite des Rheins bei Köln hat', lag, von Urwald umgeben.

') Andree's Globus III, p. 247.

') Im Oclober 1822.

3) Murray, Life of Bruce 1808, p. 418. Vergl. auch Linant in ./. /?, G. S. II, p. 185 u. a. ra. Dass die Superiorilät, wenigstens hinsichtlich des Volumens, dem weissen Nil gehört, ist seit Russ- egger {Reisen in Europa, Asien und Afrika 18 ''/,s, 2. Bd. th. I, p. 515 und ausführlicher ib. th II, p. 82) entschieden.

*) Russegger, Beisen etc. 2. Bd. I, p. 516.

32 Egli, die Entdeckung der Nilquellen.

ein Fischerdorf. OI)erhnll) desselben, dicht am blauen Flusse we<>en des Trinkwassers, baiile man (1853) für die tiirhischen Soldaten Tag als , landesübliche, runde Slrolihüüen mit überhäniiendem Spitzdach, später wegen wiederholter Feiiersbrünste Thanka, einstöckige Lehmgebäude mit Plaltdach ; es kam hie- zu eine Wohnung für den Befehlshaber, es entstan- den Gefängnisse, Bazars , Moscheen u. s. f. Nach dem Ras el Charliim (= Finde des Rüssels), jener Landspitze, die seilher ein Zeughaus bekommen und daher in Mandscheva (= Arsenal) umgetauft wurde, nannte sich die neue Stadt Charlüm.

Diese , Königin des Bellet-Siidan' wurde, wie der Stützpunkt der neuen Macht und das Centrum einer neuen Verkehrswelt, so auch der Ausgangs- punkt für eine vielgliedrige Kelle geographischer Enldeckungsreisen. Diejenige LinanCs^, Ehrenberys-, Rüppels^, Russpyfjer's'» hielten sich noch innerhalb der arabischen Welt und des türkischen Sceplerbereichs;

*) Ein Ingonieur, der im Auflrage der brilisoh-afrikanischen Gesellsrhafl roisle und auf dem weissen Nil 1827 bis El Ais 13"43' N B. vordrang. Er heinülile sirb, über den Ursprung des Bahr el Abiad zuverlässigere Uericiile zu erhiillen. Siehe sein Journal of a voyage ou the Bahr el Abiad im J. li. G. S. II (1832).

2) Der dculsibf Naturforscher, der IS^'/jc mit Dr. He ni pr i ch Aejjyplcn, Nubii-n elc. bcreisle, und dann seine ,AaturgeschichlUchen Reisen durch IS'ord-Afrika und West-Asien' 1828 erscheinen liess.

3) Siehe [lag. 25, Note 3.

'») Joseph V. Bus segger, ein Oeslerreicher , kam 1837 mit The od. Külschy bis El .\is. Durch seine ,l{eisen' (vide pag. 31, Note 3) wurde er ,eine der ersten Auloritäteu für die Geographie und Naturgeschichlc der Niliänder'.

Egli, die Entdeckung der Nilqueilen. 3B

dann folgten die grossen Expeditionen, welche von Mehemet Ali ausgesandtO und von mehrern Eu- ropäern, namentlich auch, dem altern Werne^), be- ^ gleitet wurden.

V. JVIEHEMET ALL

Wie die durch Prunkliebe und Herrschsucht der Lagiden veranlassten Elephantenjagden, so sollten auch diese neuzeitlichen, von Herrsch- und Geldgier zunächst dictirten Sendungen zu geographischen Ent- deckungen führen. Diese drei Expeditionen, mit bedeutenden Flotten und viel Mannschaft unternom- men^), fanden statt:

') Nach Russegger war Mehemet Ali (Januar und Februar 1839) persönlich am blauen FIuss binnufgedrungen und bis über Fazokl gekommen {Bullet, de la S. d. G., 2. ser. XI, pp. 253 257). Der Anblick des weissen Nils gab ihm die erste Idee zu den spä- tem Expeditionen.

2) Wissenschaftlicher Chef der zweiten dieser Expeditionen war einer der europäischen Experten, welche Mehemet Ali nach Fazokl begleitet hatten: der französische Ingenieur D'Arnaud, der seine Berichte im Bullet, de la S. d. G., 2. ser. XVlIl. pp. 367 384, ib. XIX, pp, 89 95 niederlegte. Wir folgen dem Rapport Dr. Friedr. Werne' s (der als Militärarzt im Bellet-Sudan war) in Ritter ,Blick auf das Nilquellland', pp. 42 ff. Weitere europäi- sche MKglieder dieser Expedition waren der Ingenieur Sabatier und der Sammler Thibault. Der Bericht im Bullet, steht an- geblich weil bei einem Schiffbruch auf der vierten Cataracte alle Sammlungen (doch nicht das Journal) verloren gingen an Werth unter demjenigen Wer ne's, bringt es aber nicht über sich, diesen Mann unter den ,Europeens associes au chef egyptien' zu nennen.

3) Nach pag. C2 der Ritter 'sehen Schrift bestand die erste Expedition 'unter Selim Bimbaschi's Commando) aus 400 Manu, 12 grössern Kanonenbooten und 15 kleinern Proviantbarken. Unter dem Namen Ibrahim Effendi war auch Thibault dabei. Das

XII. 1. Q

34 B?ii) <l>ß Entdeckung; der Nilquellen.

a) 16. Nov. 1839 - 30. III. 1840.

6) 28. Nov. 1840 - 18. IV. 1841.

c) 26. Sept. 1841 - 1. II. 1842. Die Bergfahrt dauerte jeweilen etwa 3 Monate und führte in bisher unbetretene Gebiete, zu neuen Gewässern und Gebirgen , in den Bereich einer für uns neuen Negerwelt, zu den heidnischen Flusscor- saren der Shilluks <, den Sumpfhirten der Dinkas'^, den ackerbauenden Nuerres'^ und Kyks^ und zuletzt zu dem hochgewachsenen Bergvolke der Bari^. Man sah den isolirten Auli (= ersten Berg), die Sandstein- und Hornsleinbiidung des Djebel Musa, die Syenit- gruppe von Mandera (= wasserlosen Höhen) , die Granite des Djebel Jemati und jene Barre von Gneiss

Bullet, de la S. d. G. 2. ser. XIV, pp. 54 57 enthält einen bezüg- lichen Brief Capit. Selim's und XVllI, pp. 5—30, 81—106 und 161 185 der Uebersetzung des amtlichen Rapports. Selbst Jo- mard, der ,in dieser Reise eine der ersten Früchte der neuen, seit V4 Jahrhundert in Aegypten eingeführten Civilisation' erblickt, nennt die Resultate incomplets et imparfaits (pag. 6).

^) Ein kräftiges, nacktes Volk, das in leichten, sehr langen Piroguen, öfter in Flolillen von mebrern Hunderten derselben, bis zur Confluenz des weissen und blauen Nils herabgekommen war.

^) Ein weniger stark gebautes, durch die Sumpfluft kränk- liches, hässlich aussehendes Nomadenvolk, dessen Rinder die colossalen Hörner der allägjplischen haben. Sie verehren in jeder Heerde einen Apis.

■') Von mehr röthlicher Hautfarbe und schlichtem, glattem Haar. Wohnen in umhegten Hütten.

') Mehr auf der Westseite des Nils, Ton Fischen, Milchspeisen und Vegetabilien lebend.

^) Ein Volk, das aus Hirten, Fischern, Ackerleuten und Krie- gern bestand und in Landbau und Gewerben höher stand, als es jetzt geschildert wird.

Egli, die Entdeckang der Nilqnellen. 35

«nd Glimmerschiefer, welche quer durch den Tubiri setzt und dem Vordring-en der Flotte ein Ziel steckte*. Aus lOOÜjnhrigem Schlaf erstand, als der Sobat der Araher, der Astasobas der Alten, der seine blauen Gewässer aus Ahessinien brin<>t und deswegen von den Anwohnern auch Bahr el Makdda = Fluss von Hnbesch^ genannt wird. Man sah den Keilak und den Bahr el Ghazal, und im Gebiete ihrer Vereinigung mit dem Kir denn so heisst hier der weisse Nil ein endloses Sumpf- und Seen- und Flussgewirre 3, alles Dinge, von welchen die neronischen Centurionen sowohl, als die arabischen Geographen berichtet habend.

Unter 14° N. halte die Pracht der Tropen be- gonnen. Weiterhin dehnte sich der Fluss auf eine Stunde Breite, mit blühendem Lotos bedeckt und

') So bei der zweiten Expedition, welche ca. 4°42' N. erreichte, während die erste (angeblich bis 35', in Wirklicbiieit aber nur) zu Q'/2° gekommen war. Die dritte kam etwas weniger weit als die zweite (Ritter, Blick etc. p. 42).

-j Auch der letzte rechtseilige Nebenfluss des Nil, der Albara = Astaboras des Ptolemäus, heisst so bei den Anwohnern der Niederungen von Sennaar und Albara (Beke im J. R. G. S. 1847, p. 2, Note).

^) In dem Nosee, dessen blaues, klares Wasser angenehm gegen das schmulzige Weiss des Bahr el Abiad abslicht, hatle die erste Expedition dib Strömung erst nach dreitägigem Suchen geTunden (18.— 21. Dcc 1839). Mit dem Nosee ist nicht zu verwechseln der westliclier gelegene See Rek. Derselbe wurde erst 13 Jahre später durch Petberick und Poncet besucht und spielte dann als Kendez-vous der Elfenbcinliändler des Westens eine Rolle in der Gcschiclite der Entdeckung jener Reviere (Insel Kyt).

'') Vergl. Aeschylos, l'rometh. solut. Fr. 67, p. 191.

36 EgU, die Entdeckung der Nilqxiellen.

durch eine Welt lang-gedehnter, hebuschter oder be- waldeter Inseln ' gelheilt. Wir glauben uns in einem unter Wasser gesetzten Kiesenparke, so üppig-, so märchenhaft voll und frisch wird die Vegetation. ,Wie grosse aufgehangene Teppiche weht und leuchtet es in allen Farben ; die prächtigen , laubenarligen Gewebe von Lianen bilden ßlumenhügel mit Guirlan- den'. Aus acacienartigem, vollsaftigem, schilfgrünem Laube schauen in Menge die über zolllangen, gelben Bohnenblüthen des Ambak, der Aedemone mirabilis Kotschy2, jenes merkwürdigen Baums, der, nach- dem er in der trocknen Zeit bis auf die Wurzel abgestorben , seinen spindelförmigen, schwammigen Stamm zur Mannsdicke aufbrüstet wunderbar schnell, da er den steigenden iVil im Wachslhum überholt. Aber auch den Schwarzen ging eine neue Welt auf. ,Die zahlreichen, heranschwimmenden Holzberge mit den Klettermatrosen auf Segelstangen und buntbewimpelten Mastbäumen, die gewaltige Wirkung der nie erhörten Donnerbüchsen, die bunten Tücher, blauen Hemden und farbigen Glaskorallen, die man freigebig austheilte^, waren neue Erschei- nungen'.

') Deren im Lande der Shillnks mehr als 200.

2) Siehe Oesterreichische botan. Monatsschrift 1858, Nr. 4. Schon Werne hat von ihr berichlet.

•5) Ganz im Sinne des Befehls, gegen die nenen Völker nichts feindseliges zu unlcrnehnien, sondern durch Wohllhun ihr Ver- trauen zu erwerben Die erste ExpeiJilion, nur von Türken ge- leitet, halle sich des Todlschiessens nicht erwehren können; da- durch wurden die Eingebornen verscheucht, die Expedition in ihrer Vereinsamung konnte keine Erkundigungen mehr einziehen und

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. 37

Für die exacte Geographie lagen nun, von den oben theilweise genannten Einzelheiten abgesehen, zwei Hauplresuitate vor, wir können sagen: ein negatives und ein positives, namiich mit Bezug auf:

a) das Mondgebirge und

b) den JSilquellstrom.

Seit D'Anviile« hatten unsere Garten das Mondgebirge unter 5—7' N. verlegt. An dieser Stelle konnte nun das Quellgebirge des Nil nicht sein. Endlose Blachfelder halten sich vor den Augen der Reisenden ausgebreitet. Auf dem ganzen un- geheuren Raum, den die Expedition mittel- und un- mittelbar erschlossen, war nichts zu sehen, das auch nur entfernt einem Massen- und insbesondere einem Schneegebirge 2 ähnlich war. Noch weiter ab lag die Position, die ihm Ritter in seinem grossen Werke 3 gegeben, nämlich 20 Tagereisen , gerade nach Süden von Bornu', unter IT 0. P. und zwar zwischen 7 und N. Br. Somit war selbst die Existenz des Mondgebirges in Frage gestellt, sofern man es nicht in die Aequatorialgegend oder noch südlicher zurück- schieben wollte. D'Arnaud selbst vermuthete es gegen Kaffa hin (S'^ N. Br. und 33 0. P.) ; verführt

ranssle vorzeitig umkehren (vide Note 1, pag. 35). Thibault (Note 2, pag. 33) klagte in seinem Briefe [Bullet, de la S. d, G. 2. ser. XVl , pag. 127) über jene dimonstrations hostiles , welche allen Erfolg beeinlräcliligen. Vergl. Bullet. 2. sör. XVIII, pag. 374. ^) Memoire sur le Nil 1745. Vergl. seine Dissertation sur les sources du NU 1759. Die lehrreiche Africa-Carte in Atlas Tabularum Eomannianarum 1737 hat das Mondgebirge gar nicht.

2) Siehe pag. 21.

3) Erdkunde 1822, 1, pag. 516

38 ^?lii ^'t^ Entdeckung der Nilquellen.

durch die übertreibenden Angaben, die er über derr heutigen Äsua vernommen, iiess er seinen Scboa Berry in einem Bogen umwenden zu den Felsengen, an deren unterm Eingange seine Expedition stehen ge- blieben war*.

Im Mittelalter hatte man, verleitet durch Kos- mas 2, den Aibara für den wahren Nil gehalten. Seit Lobo3 und dann neuerdings durch ßruce^ war die Ehre dem blauen Fluss zu Theil geworden. Man hörte zwar wiederholt von der Existenz des weissen Flusses; schon Delisle^ und spater die Ho mann i- schen Erben^ zeichneten den Albus ßumen, und be- stimmter wies auf ihn D'Anville''. Er wies nach, dass die Alten, z. B. Ptolemäus , unsern Bahr el Abiad allein als ,Nil' ansahen; er behauptete nament- lich auch, dass dieser die stärkere Wassermasse führe, und selbst Bruce wollte dies nicht ganz in Abrede stellen; er gab zu, der weisse Nil behalte immer eine bedeutende Wassermenge, da er in Breiten entspringe, wo es fortwährend regnet, während der Bahr el Azrek in der sechsmonallichen Dürre beträchtlich zusammenschwinde. Allein bis zur Gründung von Chartum schwebte doch unsere

*) Siehe seine Carte du Bahr el Abiad etc. im Bullet, de la S. d. G. 2. ser. XIX, pag 176. Sie ist eine Roduclion der Zehnblalt- Carte, die er für den Vicekönig gezeichnet halte.

2) Siehe pag. 23, Note l.

3) Siehe pag. 24, Note 2 und weiter.

•*) In seiner Carte de l'Egypte, de Nubie et de l'Abissinie 1707. *) Siehe pag. 37, Note 1. 6) Ib.

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. 39

Kenntniss von Bellet-Sudan und seinen Flüssen in nebelhafter Unklarheit. Erst durch die Vorläufer der Mehemet Ali'schen Expedition, namentlich Russ- egger, wurde entschieden, dass dem weissen Nil wenigstens hinsichtlich seines Volumens die Supe- riorilät gehört*, und was die Ausdehnung und Rich- tung seines Laufes oberhalb El Ais betraf, war auch noch 1S39 völlig ungewiss. Nun ergaben die ägyp- tischen Expeditionen, dass der Bahr el Abiad einen viel längern Lauf habe als der blaue Fluss, und dass sein oberster bekannter Punkt, die Insel Janker, unter 29V2° 0. P., also östlicher als C^iro, liege. Es war somit entschieden, dass der weisse Fluss der Quells trom des Nils sei und aus Süden (statt aus Südwesten) komme^.

VI. NEUEEE EXPEDITIONEN.

Wir dürfen zugeben, dass entsprechend ihrem Charakter als blossen Recognitionen die Mehemet Ali'schen Expeditionen nicht gerade eine dem Auf- wand entsprechende bedeutende Zahl exacter und abgeschlossener unmittelbarer Resultate aufzuweisen hatten 5. Allein in dem urplötzlichen Auftauchen aus- gedehnter Gebiete und namentlich eines gewaltigen Quellstroms, dessen Ursprung in noch weitern Fernen

•) Siehe oben pag. 31, Note 3.

2) Ce qui change totalemenl la direction donnee jusqu'ici au Nil blanc sagt die äusserst magere Correspondenz D'Arnaud's und Sabatier's in den Comptes Rend. XV, p. 1207.

•') Die ethnographischen resümirt das Bullet, de la S. d. G. 3. ser. I. pp. 154 158. Von der ersten Expedition sagt Jomard ib. X, p. 305: Aucune position ne fut determinee geometriquement.

40 Egli , die Entdeckung der Nilquellen.

immerhin veriiüllt blieb, wirkte eine wunderbar an- regende Kraft. Die Expeditionen wurden bahnbrechend für neue Entdecliungen , die in dem sofort sich ent- wickelnden Elfenbeinhandel ihren natürlichen Stütz- punkt fanden.

Was seither durch Forscher und Elfenbeinhänd- ler weiter geschehen, das kann hier nicht eingehend erörtert werden. Schien es doch, ,als wären die Zeiten Mungo Park's wieder gekehrt!' Es möge genügen, an Malzac und Vaissiere', Brun- Rollet-, Heuglin3, Petherick"*, die Gebrüder

*) Siehe Esquisse de la partie du bassin du Bahr^el-Abiad

und Catte du cours du Mareb .... im Bullet, de la S. d. G. 1855.

2) Ein SaYO}'arde, sardinischer Censul in Chartum. Hatte seit 1844 in Belenia, einem 5 Stunden vom weissen Nil entfernten Bariorte, seine Station für den Elfenbeinhandel aufgeschlagen. Siehe sein Buch: Le Nil blanc et le Soudan, 1855. Er befuhr, allerdings nach Petherick und Poncet, nämlich 1856, kurz vor seinem Tode, den Bahr el Ghazal und ist der erste, der über diesen Fluss genaue Nachrichten gab. Er nannte ihn fälschlich auch Keilak (und Misselad) und hielt ihn für drei mal wasserreicher als den Bahr el Abiad. So schloss er vorläufig wenigstens die Liste der Pseudo-Nile, die kurz vorher (1846) durch die Gebrüder D'Abba- die um den Gibbe (pag. 46) und 1843 durch Dr. Beke um den Sobat (pag. 25) bereichert worden war. Vergl. pag. 35.

^) Siehe pag. 26, Note 2.

^) John Petherick war 1845 als Bergingenieur in die Dienste des Vicekönigs von Aegypten getreten, dann aber Kaufmann ge- worden und hat in den obern Nilländern eine rastlose Thätigkeit entwickelt. Im Jahr 1853 befuhr er (siehe Note 2) den Bahr el Ghazal of which wie er Proceed. V, p. 27 sagt I had been Ihe first navigator. Im folgenden Jahr etablirte er bei dem Djur einen Handelsposten, und so schob er seine Unternehmungen Jahr für Jahr vor. Er war einer der ersten unter den Händlern des

Egii, die Entdeckung der Nilquellen. 41

Poncet', an Lejean^, Lafargue^, Peney^*,

Obern Nilgebiets und wurde englischer Consul in Charlum. Seine grosse Reise von IS^'/ss ging auf dem weissen Nil zum See No (pag. 35, Note 3), dann zu Lande weiter nach Süden, ungefähr in der Richtung des Gazellen- oder Djurflusses, kreuzte diesen unter 5V2*' und endete im Lande der Njam-Njara, ,near the Equator'. Den fernsten Punkt, Mundo, versetzt jedoch die Carte im J. R. G. S. XXXV unter ca. 3^40'. Der vorgeschobenste (permanente) Handeisposten war Lungo im Lande der Dör. Vergl. die Schrift: Egypt , the Soudan and Central Africa, 18G1, sowie eine Stelle in Abschnitt XVI, wo wir wieder aufPetherick zu sprechen kommen- ^) Siehe pp. 35 und 40.

2) Wilhelm Lejean ist Franzose. Wir haben weiter unten Gelegenheit, ihn nach Gondokoro reisen zu sehen. Zu Anfang 1861 nahm er den Bahr cl Ghazal auf, den die Eingebornen Nam Aith nennen. Seine ,Esquisse' reducirte den Nosee, wie ihn nach den ägyp- tischen Expeditionen D'Arnaud gezeichnet (pag. 38), auf Vi der frühern Ausdehnung. Siehe Annales des voyages, 1862, I. pp. 257 268.

3) Ferd. Lafargue, ebenfalls ein Franzose, hatte lange als Arzt in den Dependenzen der Paschaliks Aegyptens gelebt. Mit einem kleinen Dampfer besuchte er 1858 Gondokoro, und ging selbst noch etwas weiter, musste aber wegen Krankheit und andern Hindernissen umkehren [Bulletin de la S. d. G. 1861, L p. 469).

'■*) War ein französischer Arzt in türkischen Diensten. Ging im Februar 1861, begleitet von Debono (s. unten), über die Strom- schnellen oberhalb Gondokoro, zunächst über diejenigen von Dschendoky-Garbo, dann über die beschwerlichem 750'" langen von Teremo-Garbo und nach Passirung der zahlreichen, beider- seits hereinfallenden Nebenflüsse /u den Catarncten von Makedo, zwei Fällen von je 1V2"' Höhe Da bei der Flussreise die Baiken und das Tauwerk zu Grunde gegangen waren, so setzte Peney seinen Weg zu Fuss fort bis zu dem Punkte, wo der südöstliche Eck- pfeiler der Regohetle, der Pik Gniri, steil aus dem Flusse sich er- hebt. Wie er vor dieser Flussreise nach dem Westen , Jambara, gegangen und dabei an den Iliey = Jeji gekommen war, so drang er später auch östlich von Gondokoro in das Land der Liria vor

42 Egii, die Entdeckung der Nilquellen.

Miam'i und hauplsächlich auch an die Missionäre der österreichischen Stationen Gondokoro und Heilig- kreuz 2 zu erinnern. So lichtete sich das Dunkel

und starb, nachdem er 22 Jahre in Africa gewesen, den 26. Juli 1861 ara Fieber in Anwesenheit seiner Frau und Kinder.

') Sielie später.

2) Wie einst zur Zeit der portugiesischen Küstenfahrten, so sollte auch in dem neu entdeckten Nilgebiet die angenehme Täu- schung der Eingebornen nur zu bald vor einer schlimmen Wirk- lichkeit zurückweichen. Als die Absicht des türkischen Gouver- neurs Churschid Pascha, bezüglich der Vergrösserung des Paschaliks, auf Schwierigkeileii stiess , so begnügte man sich, all- winterlich Truppen auszusenden, dass sie unter den Negern Steuern eintrieben: Gold, Elfenbein, Straussfedern, vorzugsweise aber starke Negerjünglinge, die als Rekrulen nach Aegyplen geschickt wurden. Gegenwehr «urde mit Gräueln aller Art bestraft. Diese Züge nannte der Türke selbst Gaswa (= Sklavenjagden). Siehe Milthei- lungen der k. k. Geogr. Gesellschaft, 1858, , Abhandlungen', pag. 76. So begann jene Reihe von Misshandlungen, welche die Eifenbein- händler und die türkischen Beamten zu Charlum an den afrikani- schen Völkern ungestraft bis auf den heuligen Tag sich erlauben, und früh schon geschah, dass des Barikönigs Bruder Niguello von den Türken geraubt und nach Charlum geführt wurde. Dort traf ihn sein Freund Brun-Rollet (pag. 40, Note 2), befreite ihn und gab ihn seiner Heimat wieder. Niguello erzählte seinen Lands- leuten Wunder von der grossen Stadt, wo ganze Häuser mit Glas- perlen angefüllt seien, und wo die Menschen auf , Zebras' und .Giraffen' ( Esoin und Kameelen ) reiten. Diese Berührung Cburlums und der Bari gab den nächsten Anlass zur Gründung der österreichischen Missionsstation bei den Bari, zunächst in Vlibari am weissen Nil, unweit Bellenia , von 1853 an, V2 Meile weiter oben, in Gondokoro.

Die Gründung wurde durch ein päpstliches Breve vom 3. April 1846 ausgesprochen. Unter der Leitung P. Ryllo's kamen die Priester am 11. Februar 1848 in Chartum an, und als der genannte Vorstand schon am 17. Juni 1849 starb und wegen der Wirren in

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. 43

ob einem Chaos widersprechender Nachrichten, in kurzer Frist zwar, aber sehr ailrnälig- im Vergleich

Europa die Gelder ausblieben, ging P. Ignaz Knoblecher den 13. November 1849 nilauf, eben mit der Gelegenheit, die ihm Brun-Rollet verschaffte, zu den Barinegern, die ihn freundlich auf- nahmen. In der Zeit, wo Knoblecher in Europa neue Mittel suchte (iS^Vii)» ersetzte ihn der Venetianer Angelo Vinco, der uns wiederholt auf dem Entdeckungsgebiete begegnet. Auch dürfen wir Martin Hansal, den Lehrer der Mission, nicht vergessen, denselben, der die Aedemone mirabilis Kotschy zuerst nach Europa gebracht hat (siehe pag. 36, Note 2). Anfänglich hatte der Pro- vicar seine Arbeit zwischen der obern und untern Station (Gondokoro und Chartum) zu theilen; später kam die Zwischcn- stalion Santa Croce (= Heiligkreuz) hinzu; dieselbe liegt unter ßVi" N., ebenfalls am weissen Nil, im Lande der Kyks und ist durch P. Mos g an gegründet (Siehe Mittheilungen d. k. k. G. G, 1857. p. 158).

Im Jahr 1860 hiess es in Europa, dass die beiden obern Stationen aufgegeben seien, dass auch der Veronese Beltrame, der zu An- fang 1858 in Chartum angelangt und auf dem Missionsschiff Stella matutiiia nach Heiligkreuz abgegangen war, vom Sobat sich zurück- gezogen habe, sowie endlich , dass selbst die Mission zu Chartum anter Knoblechers Nachfolger, dem Provicar Kirchner, nach der Insel Shellal (gegenüber Philae) verlegt worden sei. Die schlimmen Nachrichten waren in Bezug auf Heiligkreuz verfrüht. Die Mission ging 1861 an die Dominicaner über, deren 60, Geist- liche und Laien, in Chartum anlangten. Ein Theil blieb unter 10'/2° N. unfern der Muhammed;inerniederlassung Uellel-Kaka; ein anderer Theil wanderte weiter stromauf, Ileiligkrcuz zu. In wenig mehr als Jahresfrist starb von den erstem die Hälfte weg, und der Rest floh nach Chartum; auch in Heili^kreuz ging es so schlimm, dass im November 1862 nur noch P. Franz Morlang, der Pionier von Jambara, mit zwei Laien dort war, auf Erlösung hoffend. Eine Verlegung zu den Bari von Kich konnte nicht abwenden, dass endlich doch die Mission aufgegeben wurde. Als Speke im Februar 1863 von Nyanza her in Gondokoro ankam , traf er den

44 I^^I>i die Entdeckung der Nilquellen.

ZU der Fülle publicirten Materials. Die fabelhaften Angaben der Eingebornen, die Unziiverlässigkeit und die Irrthümer mancher Reisenden und das Missge- schick, welches die begründetsten floR'nungen knickte, verzehrte einen beträchtlichen Theil der aufgewandten Kräfte.

P. Morlang, der gerade der obern Missionsmetropole einen Ab- schiedsbesuch machte, um über Ghartum zurückzukehren. Er war als der Letzte zurückgerufen, weil aUe Versuciie fehlgeschlagen.

In seinem Journal of the discovery of t/ie source of Ihe Nile pp. 604 und 605 gibt Spcke an, dass innert 13 Jahren von den 20 Missionären, die den weissen Nil heraufgekommen, 13 am Fieber, 2 an der Djssenterie gestorben und 2 mit gebrochener Gesundheit zurückgekehrt wären und nicht eine einzige Seele war bekehrt worden! Man hatte zwar wiederholt gegenlheilige Versicherungen vernommen, und noch in einem Briefe, d. d. Gondokoro 28. Febr. 1857, spricht Hansal von den Jugendlichen Zöglingen aus dem Barivolke', die die beiden Patres und ihn umgaben {MUtheilungen d. k. k. G. G. 1857, , Abhandlungen', p. 169). Wohl sahen die Bari die Bilderbücher an, warfen sie aber weg, sofern kein hand- greiflicher Gewinn hinzu kam. Sie sagten, ihr Magen sei leer und rannten fort, Nahruni^ zu suchen. Das kleine "Korn, welches sie bauten, assen sie, bevor es reif war und suchten dann Fische im Flusse oder Schildkröten im Innern. Morlang erinnerte sich noch an die Zeit, wo sie Lebensmittel zum Verkaufe brachten; jetzt aber, seitdem die Hetzjagden der Sklaven- und Elfenheinhäiidlcr alltäglich geworden, kehren sie allen Fremden den Rücken und werfen den Missionären vor, sie seien die Vorläufer des Laudes- unglückes gewesen. Die Missionäre selbst, sagt Speke, verbrachten aus Langeweile den Tag mit Essen, Trinken, Rauchen und Schlafen. Es war der Mangel an Thätigkeit, was sie tödtete oder ,sie starben am Zuschnellleben'.

So bildet denn die Glocke auf dem Kirchlein zu Gondokoro und das Kreuz auf dem First einer nach Landessilte gebauten Hütte die einzigen Ueberhleibsel, welche Zeuguiss ablegen von den lang- jährigen christlichen Bemühungen unter diesen Heiden.

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. 45

Wie die neronischen , so wurden auch unsere modernen Entdecker , vielfach durch anthropoide Ge- spenster geäfft'. Petherick^ hörte hei dem Wadi Koing- von einem Volke mit vier Augen, zwei vorn und zwei hinten ; ein anderes hahe die Augen in der Acliselgrube und müsse also den Arm heben, um zu sehen; dem nächsten sciirieben sie Affengesichter und ellenlange Schwänze zu; das ausserste aber sei ein Zwergvolk mit körperlangen Ohren, die beim Ausruhen Matraze und Decke zugleich versehen. Besonders wurden die völlig nackten, kupferfarbigen Njam-\jam, welche Menschenfüsse als Delikatesse schätzen 2, Gegenstand der alten Sage geschwänzter Menschen und damit mehrjähriger Bemühungen, haupt- sächlich der Franzosen-', bis Lejean'* den Schwanz auf einen Lederriemen reducierte , der, vorn durch einen Gürtel festgehalten, zwischen den Beinen durchgeht und am aufwärts gekrümmten Hinterende sich fächerartig ausbreitet.

Mehrere Nilreisen erinnern unwillkürlich an Dou- ville, dem für seine voyage au Congo die geographi- sche Gesellschaft zu Paris die goldene Medaille, die- jenige zu London die Ehrenmitgliedschafl ertheilte, und dem Cooley nachher bewies, dass er die Zeit seiner Congo-, Reise' in London zugebracht hattet. ,Nach

') In seiner Schrift: Egypt , the Soudan and Central- A fr ica, 1861, p. 234.

2) Ib. p. 455.

•') Peter mann, Geogr. MUtheilg., 1858, p. 77 und 1861, p. 234.

'*) In Le Tour du Monde, 18G1 abgebildet. (Die Seitenzahl kann nicht mehr revidirt werden.

^) Petermann, Geogr. Mittheilungen, 1860, p. 243.

46 Egli > <lic Entdeckung der Nilquellen.

neunjährigen Gefahren und Schwierigkeiten hatten', wie sie erzählen, die beiden Franzosen', Gebrüder Anloine und Arnaud cfAbbadie endlich das Glück, am 19. Januar 1846 ,die französische Flagge an der Hauptquelle des wahren Nils aufzupflanzen' 2. Und war diess ein Zufluss des Sobat!

Unter dem Namen ,Commission scientifigiie interna- tionale pour la recherche des sources du Nil et l' exploralion rfw 5oMrfan' kündete Graf Es cayrac deLauture seine grosse durch Said Pascha ausgerüstete Expedition an. Sie sollte direct zu den Nilquellen gehen und dort sich in zwei theilen: zum indischen Ozean und in den Sudan. Zwei Dampfer, zahlreiche Barken und 38 Leiterwagen, 300 Mann Escorle, Lebensmittel auf fünf Monate genügten nicht. Zu den zwei Kanonen verlangte der Nilquellenentdecker in spe vier Stück Haubitzen, 500 Stück Shrepnells, 500 Kanonenkugeln,

*) Eigentlich französisirte Irländer, die schon IS-'Vja '^ Abes- sinien gereist waren (Bullet, de la S. d. G. 2. ser. XI, pp. 200 217). Der Nil entspringe so hijrle Antoine d'Abbadie schon 1844 {Bullet, de la S. d. G. 3. ser. III, p. 314) unter einem grossen Uaume. Die QueUe gelle bei den Eingebornen für heilig, und sie opfern ihr jedes Jahr feierlich. Beiderseits von der Quelle erbeben sich zwei bis zum Gipfel bewaldete Berge: Boschi und Doschi. Gegenüber den Angriffen auf die Glaubwürdigkeit Ant, d'At)badie's (Beke, An Enquiry into M. Ant. d'Abbadie^s journey to Kaffa, 1851, vergl. Europa, 1861, Nr. 7) spricht nun seil Er- scheinen der ,G6odhie d'Etltiopie' IS^'^/es ein Fachmann mit grosser Anerkennung von seinen Reisen und Arbeiten (Peter- mann, Geogr. lUittheilungen, 1864, p. 117).

2) Compt. Rend. XXV, p. 485 und XXIX, p. 657. Vergl. auch Bullet, de la S. d. G. 3. ser. VIll, pp. 94—97 und die Carte ib. XII, p. 233.

Egli , die Entdeckung der Nilquellen. 47

200 Handgranaten, 1000 Stück Raketen und weni- ger todverkündend eine schwarze Musikbande zur Aufheiterung unter dem Aequalor. Die arabi- schen Schech's zu Cairo, welche derartige Zumu- thungen nicht fassen konnten, nannten spoltweise den Grafen ahu memba ii bahlier (= Vater der Nil- quellen). Das Unternehmen hat weit über eine Mil- lion Franken verzehrt; ,nie war eine wissenschaft- liche Expedition mit reichern Mitteln ausgestattet'. Sie hat aber Aegypten nie verlassen i.

Wie ganz anders der Venelianer Giov. Miani, welcher, der wissenschaftlichen Bildung entbehrend, lange am obern Nil gewesen, eine vielfach aben- teuerliche Carte publicirte 2 und nach vielen Schwie- rigkelten endlich die Unterstützung Debono's 3 fand! Von Gondokoro zog er, nachdem eine Flussfahrt bei den Makedocalaracten ihr Ende gefunden^, zu Lande, östlich vom Nil, , durch Wälder, Berge, Thäler und

*) Peterniann, Geogr. Millheilungen, 1856, p. 342 und 1857, p. 50.

2) Nouvelle Carte du bassin du NU indiquant la commune ori- gine de ce fleuve avec les riviöies du Zanguebar. 1857. Vergl. Petermann, Geogr, Mittheilungen, 1858, p. 5G7.

3) Andr. Debono, ein Malleser Elfenbeinhändler, der 1853 bis über die Cataracten von Makedo und 1855 den Sobat aufwärts gefahren war bis ins Land der Bondschaks. Siehe Andree, Globus I. pag. 374.

'*) Für Segelschiffe ist die Cataractenreihe unpassirbar, da das Wasser, so lang die Nordwinde wehen, zu seicht ist und umge- kehrt, zur Zeil des Uochwassers der Wind beständig aus Süden weht. So könnten nur Dampfer die Passage zu bewerkstelligen suchen; allein der VicekÖnig erlaubt den Zugang nur denjenigen der Regierung {Proceed. /?. G. S. V, p. 27).

48 B?'i <]i6 Entdeckung der Nilqaellen.

feindliche Völkerschaften' gen Süden und erreichte am 28. März 186Ü den Fluss wieder oberhalb der Mericaiaracien, bei Galuffi, unter 2V2° N. Br. , wie er glaubte, in Wirklichkeit aber unter 3V2°- Also war er viel weiter als jeder seiner Vorgänger gekommen und halte damit seinem Gönner vorgearbeitet zur Gründung der noch südlichem EH'enbeinslation FaYoro*. Durch Mangel, Krankheit und die Regenzeit zur Um- kehr gezwungen , schnitt er seinen Namen in den grossen Tamarindenbaum, unter welchem sich die Aeltesten des Dorfes versammeln.

VII. NYANZÄ.

Während man so von Norden her unaufhaltsam vordrang, fand eine merkwürdige Annäherung von Süden und Osten her statt. Die Zanzibarküste war zur Basis einer andern Reihe von Entdeckungsreisen geworden.

Seit den Tagen des Historikers Joaö de Barros^ zeichneten unsere Garten in unsichern Umrissen einen

') In Madi 10' N.

2j In seiner Äsia, Dec. I. X, sagt er von einem grossen See, der, im Centrura Africa's gelegen, den Nil, Zaire. Zarabesi und andere speise. Es sei ein See von solcher Grösse, dass viele (See-) Segelschiffe ihn befahren könnten, und unter seinen Inseln sei eine Tähig, eine Armee von 30,000 Mann auszusenden. Schon vor De Barros (1552) erzählt übrigens Fernando de Encisco in seiner Suma de Geographia, fol. 55. b , dass man von den Einge- bornen in Conijo gehört hätte, der Zaire entspringe aus demselben See, wie ein ahdercr grosser, nach entgegengesetzter Richtung abfliesscndcr Strom (Nil?).

Egli^ die Entdeckung der Nilquellen. 49

Morawisee als langgezogenes, inselreiches Becken'. Erst Cooley publicirte in der Edinburgh Review (IH^b) neue Nachrichten von jenem grossen Binnenwasser, das ein Decennium später anfing, Form und Leben zu bekommen, indem es sich in mehrere Seen auf- löste. Gleichzeitig entdeckten die Missionäre von Rabai Mpia^ die äquatorialen Schneeberge 3, gegen w^elche derselbe , obstinate geograph' * ankämpfte und für w^elche Von der Decken^ so ritterlich sein Leben

') Siehe u. a. Atlas minor XXXVI Tab. Homannian. fol. 33.

2) In der Gegend von Morabaza, 1844 gegründet.

5) Zuerst war es ein Gefährte des schon pag. 25, Note 6 ge- nannten Dr. Krapf im Missionsdienste zu Rabai Mpia, der Deutsche J. Rebmann, welcher auf seiner Reise nach Djagga den Kilima Ndjaro erblickte. Dies war am 11. Mai 1848. Er übernachtete am Fusse des Berges. Später (18'Vso) sah auch Krapf wiederholt das Schnechaupt und entdeckte zudem von Kitui aus, in einer Entfernung von sechs Tagereisen, einen zweiten zweigipfligen Berg- riesen, den Kenia (3. Dec. 1849). Die Missionäre gaben die Kunde ihrer Entdeckung in der unbefangensten, aber bestimmtesten Weise, nicht ahnend , welche Zweifel sich gegen jene erheben würden. Hatte man ihnen doch schon an der Küste von einem Berge er- zählt, der wie mit weissem Mehle bedeckt sei, und am Fusse er- fuhren sie, dass das Weisse droben bisweilen mit grossem Lärm den Berg herabfalle, und dass es in einem Gefäss herabgeholt zu Wasser (Kibö) werde. Siehe Calwer Missionsblatt, 1855, p. 80.

•'') Cooley, Inner Africa laid open down. Lond. 1852.

^) Baron K. von der Decken, ehemaliger hannoverischer Officier, wollte, durch Barth bestärkt, sich Dr. Röscher an- schliessen und reiste, mit Geld und Instrumenten wohl versehen, im April 1860 nach Zanzibar ab. Nachdem der (zweite) Entdecker des Nyassasee's dem Pfeil eines Meuchlers erlegen war, wandte sich von der Decken gegen Mombaza und landeinwärts gegen die .Schneeberge'. Im Herbst 1861 bestieg er, in Begleitung des englischen Geologen Rieh. Thornton, den Kilima Ndjaro bis zu XU. 1. 4

50 Bs''i <^i6 Entdeckung der Nilquellen.

in die Schanze schlug. Südwestlich von dieser Ki- lima Njaro-Kenia-Region , auf dem Wege zum Tan- ganyikasee, lag 4000' über Meer nicht zwar das Mond- gebirge des Ptolemäus , aber Uniamuesi, das Mond- land', von welchem aus der Begleiter Rieh. Bur- ton's-, Capitain J. H. Spekes, nach Norden reisend an den Nyanza gelangte.

8000' (engl.). Die Berichte der Missionäre bestätigten sich voll- kommen. An Laven und Gesleinsproben zeigte sich die vulcani- sche Natur des Berges; der Reisende sah mehrere Lawinen fallen, bestimmte die Schneegränze zu 17000', die Gipfelhöhe zu 20000', und nach Nord und Nord-West zeigten sich noch andere Schnee- gipfel, die einem wahrhaften Alpenlande anzugehören schienen. Ein Jahr später gelangte von der Decken, begleitet von Dr. O. Kersten, am Kilima Ndjaro bis zu 13000', übernachtete im Schneegestöber und hatte am Morgen die Genugtbuung, den Schnee rechts und links unter seinem Standpunkte zu sehen. Auf dieser Tour waren die Reisenden an die Gränze der Masai gekommen, mussten sich jedoch zurückziehen. Vielfältig von der Ungunst des Schicksals verfolgt, entschloss sich von der Decken, die Flüsse Dana und Juba hinaufzufahren und dafür zwei Dampfer anzu- schaffen. Für diese neue Exploration engagirte er in huropa selbst eine Anzahl Gehülfen. Der Dana erwies sich als gänzlich unbrauch- bar. An der Barre des Juba ging (Juli 1865) der kleinere Dampfer unter; die Fahrt des grössern war unglücklich, da das Schiff leck wurde und nicht mehr von der Stelle kam. Als, um sich aus der schlimmen Lage zu helfen, der Baron mit einem Theil seiner Be- gleiter um Hülfe ausging, wurde er (2- October 1865) von den Somali ermordet und mit ihm ein Theil seines Gefolges. Siebe Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 1866, pp. 97-- 114 und pp. 160 und 161.

*) Von dem Namen ,üniamesi' sagt Krapf im J. R. G. S 1853, p. 117: Literally it signifies ,country of Ihe moon'.

2) Ein Officier der indischen Armee, der schon in Ostindien verschiedene Reisen ausgeführt, dann aber 1853, als afghanischer

Eg;li, die Entdeckung der Nilquellen. 51

Zuerst war die von hüg-eligen Ufern eingerahmte südliche Bucht voll felsiger Waldinselchen, die den Bengalarchipel bilden, in Sicht gekommen; vier Tage später, in der Frühe des 3. August 1858, erblickte von Somerset Hill aus Speke die blassblauen Ge- vv^ässer des offenen Sees und darin die grosse Insel, angeblich zeitweilige Halbinsel, Kerewe, nach der die Araber den See benennend Endlos dehnte sich der Wasserspiegel. Niemand, sagten die Eingebornen, kenne seine Länge nach Norden; wahrscheinlich er- strecke er sich bis an's Ende der Welt. Die Inseln, mit sanften Abhängen in abgerundete Gipfel an- schwellend, mit Wald bedeckt zwischen den rauhen, kantigen, dichtgedrängten Granitfelsen, spiegelten sich in der ruhigen Fläche , auf der das Auge hie und da einen kleinen schwarzen Punkt, den winzigen Kahn eines Muanzafischers, entdeckte. Von der sanft geneigten üferhalde wirbelte blauer Rauch zwischen den Bäumen auf; Dörfer und Weiler blickten hervor, deren braune Dächer angenehm contrastirten gegen das Smaragdgrün des Milchbusches. Und zu diesem Anblick der Genuss jener Empfindungen , welche durch die glückliche Entdeckung geweckt wurden!

In der That, diese war vielverheissend. Wie

Derwisch verkleidet, Mekka und Medina besucht hatte und 2 Jahre später als der erste christliche Europäer nach Somal und Härrär vorgedrungen war.

•') EbenfaUs von der indischen Armee und ebenfalls durch Reisen vorgebildet Hatte mit Burton die Gefahren der Härrär- reise getheilt und war dort, Nachts von 350 Sonialbeduinen über- fallen, mit genauer Nolh dem Tode entgangen.

*) Nämlich U kerewe, wo u = Stelle, Ort.

52 E?Ii) ^ie Entdeckung der Nilquellen.

einst den Elephantenjägern arabische Kaufleute den Weg- zu den Quellsee'n des Nil weisen konnten offenbar als eine Frucht ihrer Handelsbeziehungen zum Innern -- so fand auch Speke noch tief im Continent die arabischen Comptoir'si. Erinnerte man sich, dass den Barinegern durch .rothe Männer* Baumwollenzeuge aus Surate zugekommen2, und dass mehrfache ethnographische Analogieen am obern Nil und der Ostküste zu Tage getreten 3, so drängte sich die Vermuthung auf, dass nun einer der Quellsee'n des Nil erreicht sei '».

Die Beziehungen zu dem in Kazeh krank zu- rückgelassenen Chef der Tanganyika-Expedition er- laubten nicht, die Entdeckung sofort nach Norden hin zu verfolgen. Speke musste sich begnügen, mög- lichst viele Erkundigungen einzuziehen , und eben diese, sowie seine meteorologischen und hypsome- trischen Bestimmungen bestärkten ihn in seiner Ueber- zeugung. Auf einen Raum von fünf Breitengraden

^) Scheich Snay, ein vielgereister Kaufmann in Kazeh, hatte den Reisenden erzählt, wie er am Westufer des Nyanza bis zur Hauptstadt Vganda's gekommen sei. Auch beschrieb er ihnen die anliegenden Länder und deren Flüsse. Ein Suabclikaufmann halte von einem Volksstamm Bary gehört, der am Kivira (= Tu- biri?) leben sollte. Siehe Burion, Lake Regions of Equatorial Africa, I. pp. 324 ff. Ob die merkN\ürdigen Berichte von Seeleuten, die Logbücher und Sextanten gebrauchen, auf die Mehemet Ali'sche Expedition sich bezogen?

2) Ritter, Blick in die Nil-Quellenlande, pp. 28 und 50 und Bullet, de la S. d. G. 2. ser. XVIII, p. 375.

3) Peter mann, Geogr. Mittheilungen, 1859, p. 380.

^) 76. p. 348 in dem Briefe Speke's d. d. London, 14. Mai 1859.

Egii, die Entdeckung der Nilquellen. 58

war die terra incognita von Norden her durch die ägyptischen Expeditionen, die katholische Mission und einzelne Elfenbeinhändler, von Süden her durch die protestantische Mission und Capt. Speke zusam- mengedrängt worden. Auf diesen Zwischenraum richteten sich nun die Augen der Welt.

VIII. SPEKE.

Von der britischen Regierung ausgerüstet , von Zanzibarschwarzen', Wanyamuesi2 und Hottentotten- soldaten 3 begleitet, brachen die beiden Captains Speke und Grant von dem Küstenort Bagamoyo, Zanzibar gegenüber, auf zu der neuen Nilquellen- reise*. Es war am 1. October 1860.

•) Theils frei gelassene , sog. Wanguana , theils Sklaven , die Sultan Majid mitgegeben hatte. Die Zanzibarschwarzen, einst im Innern des Gonliiients geraubt und als Sklaven verkauft, dienen gewöhnlich selbst dazu, Sklaven und Elfenbein zusammenzutreiben; frei geworden, verdingen sie sich als Träger so lange, bis sie selber Handel treiben können zuerst in Sklaven, weil diese leichter zu erlangen sind, und dann in Elfenbein. ,Slavery begets slavery.^

2) Trägern aus ünyamuesi. Es ist eine Eigenthümlichkeit der südafrikanischen Sprachfamilie, Land, Volk, Individuum und Sprache durch die Präfixe U, Wa, M und Ki zu bezeichnen. So heisst:

Usaramo = Land Saramo. Wasaramo = Leute von Saramo. Msaramo = einer von Saramo. Kisaramo = Sprache von Saramo.

3) Die der Gouverneur der Capcolonie, Sir George Grey, dem Reisenden mitgegeben hatte. Waren den Strapazen nicht ge- wachsen und mussten theils schon in Usagara, theils in Ünyamuesi zurückgesandt werden. Man hatte grosse Uoffnungen auf sie ge- setzt {Proceedings R. G. S. V, p. ll).

•*) Der Zug bestand a) aus den Hottentotten, angeführt von

54 l^gli ' ^*^ Entdeckung der Nilquellen.

Die Expedition nahm , der berüchtigten Masa'i* wegen, den Umweg über Kazeh, wo sie bei dem be- freundeten Scheich Musa M'sani gastliche Aufnahme fand. Da begannen trübe Aussichten: Die Desertion der Träger, die Hungersnolh, die unter den Einge- bornen Kämpfe hervorrief, und eine heftige Regen- zeit verzögerte die Weiterreise acht Monate lang. Erst Ende October 1862 langte in Europa ein 15 Monate alter Brief an, die Besorgnisse, welche der frühere Bericht geweckt, etwas mildernd 2, Endlich, am 15. Februar 1803, zwei Jahre und fünf Monate nach der Abreise von Zanzibar, kam die Expedition in Gondokoro, Ende März in Chartum an, und bald zitterte auch durch Europa die telegraphische Kunde:

Das grosse Räthsel ist gelöst! Dem Nil ist das Geheimniss seines Ursprungs entrissen 3!

Die Reise war vom Mondland aus nordwärts, auf der Westseite des Nyanza, durch lauter Hoch- länder gegangen. Eingebettet zwischen die Plateaux und Gebirge, breitet sich der Nyanza {— das Wasser)

einem Corporal, b) 25 Beludschen unter ihrem Djemadar , c) 75 Waoguana unter dem Kafilabaschi, d) 100 Trägern unter dem Kirangozi.

^) Die wie die Galla, Somal und andere ostafrikanischen No- maden — ungleich den halb ackerbauenden Wakamba, Wanika, Wasumbara etc. der Schrecken ihrer Nachbarn wie der Reisen- den sind.

2) Siehe Proceed. R. G. S. VI, p. 17G und VII, p. 20.

3) Petermann, Miltheilungen 1863, p 229. Wir fügen hier an, dass die beiden Reisenden am 4. Juni 1863 mit dem Dampfer Pera Alexandrien Yerliessen und am 17. in Soulhampton ankamen. Der Council der R. G. S. veranstaltete auf den 22. ein Empfangs- meeting (Proceed. VII, p. 204 und p. 212).

Egii , die Entdeckung der Niiquellen. 55

b'us, ein ungeheurer Hochlandssee, dessen Oberfläche, sofern sie wirklich eine einzige zusammenhängende Masse bildet, vielleicht das hundertfache derjenigen des Bodensees beträgt und somit alles weit übertrifft, was Europa an Süsswassersee'n aufzuweisen hati. Von den umgebenden Hochländern eilen dem Nyanza die Bergwasser zu, damit er den jungen Ni|2 speise. Unter diesen Zuflüssen ist, soweit unsere Kenntniss reicht, der Küangule von Karagwe am mächtigsten, ein schöner, starker, wohl 80 Yards breiter Strom , der, zwischen tiefe Ufer wie ein ungeheurer Canal eingebettet, heftig strömend nach Osten zieht. Der Nil verlässt sein Reservoir am Nord- ufer ^ und zwar in mehrern Armen, die eine nörd-

^) Beim ersten Auftauchen dachte man sich ihn noch weit grösser. Der Missionar Rebmann begleitete seine Berichte im Calwer Missionsblatt vom 1. October 1855 mit einer Carte , welche den ,Ukerewe See' von '/^^ N. 13'/2° S. und über 12 Längen- grade reichen lässt. Dieser Carte zufolge wäre der See 13600 Quadratnieilcn gross, also nahezu doppelt so gross als die Ostsee oder das schwarze Meer. Und noch ist unermittelt, ob das auf '/lo '/i2 jener Fläche reducirte Binnenmeer uns nun auch in dieser Reduction bleiben soll [Proceed. IX, pp. 6 14).

^) Vorläufig nÄg es erlaubt sein, im Sinne Speke's zu sprechen und bezüglich abweichender Ansichten auf die beiden letzten Ab- schnitte (XV und XVI) zu verweisen.

3) Also ganz anders, als noch 1860 J. Macqueen in seinem Aufsatze Eilimandjaro and the White Nile wollte (J. R. G. S. p. 136). Auf seiner Carte: Central Africa showing the route of Silva Porto from Benguela to cape Delgado IS'^/si. also the sources of the Nile and the countries around them macht er den Nyanza zum Sleppensee , der nordwärts den Aequator nicht erreicht; bei den Garbocataracten biegt der Tubiri scharf nach Süd-Osten um, da er am Kenia entspringt; zwischen seinem Quelllauf und dem Nyanza

56 Egii, die Entdeckung der Nilquellen.

liehe und nordwestliche Richtung nehmen, und sich so zu einem einzigen Strom vereinigen. Sie bilden somit, wenn man so sagen darf, ein Ausflussdella. Die Arme, von Westen nach Osten aufgezählt, heissen:

a) Kafu auch Mwerango genannt,

b) Luajerri,

c) Kart.

Der letztere ist der stärkste. Er bildet unmittel- bar, nachdem er den See verlassen, den Riponfall. Dies ist der östlichste Punkt, den Speke am See er- reicht hat; er liegt ungefähr in der Mitte des dem Aequator parallelen Nordufers. Den Luajerri hat unsere Expedition ein Mal, den Kafu zwei Mal passirl; zuerst nahe dem Ausfluss aus dem Nyanza und später bei der Vereinigung mit dem Kari. Den vereinigten Strom überschritt sie bei dem Karumafall, um den grossen Bogen des Flusslaufes abzuschneiden. Hier wendet sich nämlich der Nil nach Westen um, mündet in einen zweiten grossen See, den Luta Nzige Lake (== der See der todten Heuschrecken), verlässt den- selben unfern der Einmündung wieder, um nordost- wärts zu fliessen und den Jsua River aufzunehmen, den man als den Abfluss des Baringo {^ Bahr Ingo?), eines dritten grossen See's des Nilquellenbassins, betrachtet. Wie der Luta Nzige Lake im Nord-Westen, so läge der Baringo im Nord-Osten des Nyanza, und

erhebt sich als Wasserscheide eine bedeutende Gebirgskette, an deren Vorbergen der Kivira der Eingebornen (siehe p. 52, Note 1) entspringt, um nördlich neben dem Nyanza vorbei unbekannt wohin nach Westen zu fliessen.

Egli , die Entdeckung der JN'ilquellen. 57

die beiden letztem sollen durch eine Enge unter sich zusammenhänoen. Der Abfluss des Baringo erreicht den Nil gerade da, wo derselbe, aus seiner nord- östlichen Richtung scharf umwendend zur nördlichen, an Miani's Tamarinde vorbei rauscht, also bei Galuffi^, an der Pforte jener das Quellbassin abschliessenden Felsengen, welche der Strom unter Bildung der Ka- tarakten von Meri, Makedo und Garbo passirt, um Gon- dokoro und damit sein zweites Stufenland zu erreichen.

IX. NYANZALÄNDER.

Ueber die Masailänder, im Osten des Nyanza, besitzen wir noch immer nur mangelhafte Berichte. Den Raum vom See bis zu den Schneebergen hat noch kein Europäer betreten 2. Nach den Aussagen der Araber dehnen sich dort weite, hügelige Salz- ebenen, dürre Steppen mit Salzsee'n, so dass sie auf ihren Reisen Wassermangel gelitten hätten. Auch falle vom Südende des Nyanza bis zu der Enge, welche ihn mit dem Baringo verbindet, nicht ein einziger grösserer Fluss in den See. Wohl aber hörte Dr. Krapf, dass vom Kenia her der Nil einen Zufluss erhalte; dadurch freilich wird der Wasser- mangel an der Westseite der Kilima Ndjaro-Region um so auffallender 3. Es bleibt späterer Ermittelung

') Siehe pag. 48. Speke, p. 592, nennt den Ort Apuddo und will nur undeutliche Einschnitte M. I. (in Miani's Tamarinde) ge- sehen haben. Nach pag. 579 scheint es . unser Nilreisende habe von Miani nichts gewusst.

2) Siehe pag. 54, Note 1.

■') Könnte bei den Behauptungen der Araber nicht auch die Furcht, dass die Europäer ihnen Conciirrenz bereiten möchten, im Spiele sein? {Ännales des voyages, 1866, I. p. 222.)

58 Egii, die Entdeckung der Nilqaellen.

überlassen, ob von dieser Bergwelt her, die dem indischen Ocean beträchtliche Gewässer zusendet, dem Nyanza wirklich kein bedeutender Zufluss zugehe.

Bleiben wir somit über die Ostseile des Binnen- meeres in üngewissheit, so haben uns die neuesten Reisen über die südlichen, westlichen und nördlichen Umgebungen Aufschlüsse gebracht. Unyamuesi kennen wir schon seit der Burton'schen Expedition IS^Vss als ein wohlangebautes Plateau, welches sich nord- wärts zum Nyanza senkt, als einen friedlich schönen , Garten Africas', mit Wäldern, Feldern, Grastriflen, Brunnen, Viehherden, Dörfern alles doppelt an- genehm für den, der aus der Wüste i kommt. Seine Wälder sind belebt von Affen, Leoparden, Hyänen, Löwen und Katzen , die Grastriften von Elephanten, Nashörnern, Giraffen. Capbüffeln und Kuduaniilopen, die Gewässer von Flusspferden und Krokodilen 2.

Vsinsa, Karagwe, Uganda und Ungoro, also die Län- der der Westseite, sind für unsere Kenntniss voll- ständig neue Gebiete. Ihre Namen wurden erst seit der Tanganyikaexpedition bekannt. Man schildert sie 5, zum grossen Theil wenigstens, als eben so schöne Gegenden, von Hügelmassen und grössern Gebirgen durchzogen, deren reizende Thäler ihre Fiuss- und Seespiegel gegen den Nyanza hin ent- laden. Den Usinsadistrict Usui nennt Speke^ a most

') Mgunda Mkhali = feuriges Feld, eine Wüste, die nur in der Regenzeit Wasser hat.

2) Andree, Globus, II. p. 171.

^) Speke, Journal of thc discovery of the source of the Nile, pp. 154 ff.

^) Ib. p. 164.

Egii, die Entdeckung der Nilquellen. 59

convulsed-loolving- counlry , dessen wohlgeformte Berge theils bebaut, theils mit Busch wald bedeckt seien; die ideinen Grashüttendörfer seien nicht mit einer ßoma umzäunt, sondern behaglich in grosse Pisangfelder versteckt. Das Thal von Ui'igi, am Ein- gang nach Karagwe, mit seinen saddleback hüls ringsum, versetzte den Reisenden in eine Gegend des Himalaya'.

Der Preis der Schönheit gehört dem Bergland Karagwe, dessen gereistem König es selbst aufge- fallen war, dass seine Berge die prächtigsten der Well seien. In den Gebirgslhälern lagern herrliche See'n , und im fernen Westen, da, wo die Araber ein beständig in Wolken gehülltes, angeblich kaltes Hochland gesehen, erblickte man bei schönem Wetter kühne, himmelanstrebende Kegel, welche einer be- deutenden Gebirgswelt angehören. Diesen Mfumbiro- bergen gibt Speke lOOOO' engl. Er hält sie für den grossen iVngelpunkt in der centralafrikanischen Was- serscheide und ist sehr geneigt, die Lunae montes des Ptolemäus hieher zu versetzen 2. Sie seien nicht nur

') ,lch erinnerte mich an jene glücklichen Tage, die ich einst mit den TtTlaren im tübetanischen Industhale verlebt hatte, nur dass dies letztere malerischer war; Denn obgleich beide Gegenden wild und sehr schwach bewohnt aussahen, so war die heutige mit Gras übergrünt und an den höhern Abhängen mit dickem Acacien- gebüfch punktirt, den Schlupfwinkeln der Rhinoceros, während im Thalgruiide Herden von Hartebeesls und schönem Vieh herum- streiften, wie der Kiyang und der zahme Yak von Tibet'.

2} Dies ist doch wohl eine unhaltbare Hypothese. Nach allem, was wir über die Lage der Schneelinie äquatorialer Regionen und speciell durch Von der Deckeu's Ermittelung am Kilima Ndjaro

60 KRli> <]ie Entdeckung der Nilquellen.

,das Quellgebiet des edeln Kilangule, sondern sen- den auch einen Zufluss zum Tanganyika, also zum Zambezisystem'i.

In Uganda passirle der Reisende wiederholt förmliche Gartenlandschaften, wo alles gedeiht, was heissfeuchte Lagen liebt, , vollkommene Negerpara- diese', wo man nur zu säen braucht, um mühelos zu ernten, während von den Höhen aus das sumpfige Waldufer des Nyanza oder der gränzenlose Wasser- spiegel selbst zu sehen war. Es gab einzelne Punkte, die von keinem Theil Bengalens oder Zanzibars über- troffen werden , und wo Speke ausrufen kann : A

wissen (pag. 50), bleiben die Mfumbiroberge 6 7000' unter der Scbneegränze, und doch spricht Ptoleniäus unbe/weifelt von Scbnee- bergen, wenn er sagt : Lunae montes a quibus Nili paludes nives suscipiunt. Von der Rüste aus gehend, gelangt Plolemäus über- dies zuerst an die Schneeberge und dann zu den Quellsee'n, welche Reihenfolge, sofern man den Mfumbiro als Mondgebirge adoptiren wollte, sich geradezu umkehren müsste. Wir geben also lieber mit Dr. Beke, dem Äbessinienreisenden und Verfasser der be- rühmten , Essays', wenn er in der Kilima Ndjaro-Kenia-Region die Lunae montes wieder findet. Proceed. R. G. S. VII, p. 110. Vergl. auch Peter mann, Mittheilungen 1866, p. 76. Die Zweifel, welche Cooley an der Aechtbeit der , Mondgebirge' für den pto- lemäischen Text erhoben hat [Proceed. R. G. S. VII , p. 194 und 195), bleiben hier unberücksichtigt. Ebenso die ,Lunar Mountains', welche Speke auf seinen frühern Garten an eine ganz andere Stelle, nämlich hufeisenförmig das Nordende des Tanganyika umfassend, verlegt hatte und die von seinem Begleiter Burton als a mere in- vention erklärt wurden (Proceed. IX, p. 7).

') üeber den Tanganyika und seine Beziehungen zu südlichen und nördlichen Stromgebieten siehe Proceed. R. G. S. IX, pp. 6 14.

Egli , die Entdeckung der Nilquellen. 61

wonderful coiintry, surprisingly rieh in grass, culti- valion and trees ! Von einigen Tiiaigriinden rühmt er besonders die prächtigen Bäume, die giattstämmig wie Pfeiler aufstreben und oben ihre langen Aeste zu einem Traghimmei ausbreiten. In ganz Uganda wächst der Cafe als grosser buschiger Baum, die Zweige über und über voll Beeren wie an der Stechpalme.

Das Nordufer des Nyanza gehört theilweise, nämlich bis zu dem Riponfall , ebenfalls zu Uganda; östlicher folgen Usoga und Vvuma. Hier gibt es neben fruchtbaren und wohlgepflegten Gebieten auch weite Junglen und hochgrasige Steppen, bevölkert mit Nsunnaantilopen, Elephanten und Löwen, während in den jungen Nilarmen Flusspferde schnauben und Krokodile auf Klippen sich sonnen. In einem wild- romantischen, eng- und tiefumrahmten Schlund drängt sich der Nil, die hambaschneUen bildend, über und zwischen einem Damm bewaldeter Inseln. Wahrhaft reizend aber ist die Scene ,bei den Steinen' der Waganda. Kaum dem See entströmt, stürzt hier eine durch Klippen getheilte, 500' breite Wassermasse über den 12' hohen Felsendamm und rauscht und schäumt in den Kessel hinunter, dessen Seitengehänge Gärten, Wald und Weiden über einander tragen. Flusspferde und Krokodile liegen schläfrig am Wasser; Wanderfische springen mit aller Macht den Fall hin- an; Wasoga- und Wagandaboote fahren hinaus, und auf allen Klippen fassen die Männer Posto mit Angel und Ruthe; oberhalb des Falles geht die Fähre hin und her, und von der Weide kommt das Vieh zur

52 Egii, die Entdeckung der Nilquellen.

Tränke herbei. So ist der Riponfall^ , der oberste Wassersturz des jungen Nil.

Wo die Reise durch Vngoro ging, war das Land ein unendlicher Niederwald mit hohem Grase und spärlich eingestreuten Dörfern niedriger Hütten. Zwischen der Confluenz des Kafu und Kari lag die schmutzige Residenz des Königs, der die Reisenden einen vollen Monat zurückhielt.

Nach Norden hin folgt Chopi, das theils aus Mar- schen, theils aus wohicultivirtem und starkbevölkertem Lande besteht. Hier zwischen niedrigen, papyrus- umsäumten Ufern behäbig fliessend , dehnt sich der Nil stellenweise seeartig aus; dann verengt er sich wieder, und in tiefer Schlucht braust der vorher so friedliche Strom zwischen syenitischem Gestein da- hin, in schiefgezogener Ebene etwa 10' fallend.

An dieser Stelle, dem sog. Karumafall^ , kreuzte die Expedition den Fluss, um durch Kidi vorzudringen. Die Kidiwildniss ist eine hochgrasige, grosseiilheils sumpfige Steppe, menschenarm, ohne Obdach, ungern von Reisenden durchzogen , da die jagenden Einge- bornen alle Fremdlinge ergreifen, plündern und als Sclaven verkaufen.

Desto angenehmer contrastirt Gani mit seinen hübschen, bewaldeten Granitbeygen, seinen conischen

*) Von Captain Speke so genannt nach einem HauptTÖrderer seiner Expedition, dem Earl of Ripon (seither Eail de Groy and Ripon), damaligem Präsidenten der G. G. zu London (f 1859).

2) Von den Eingebornen so genannt. Sie glauben, Karuma, der Familiarius eines gewissen grossen Geistes , habe die .Steine' in den Fluss gesetzt.

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. 58

Grashütten mit Bambiisg^estell und seinen gastfreund- lichen Bewohnern. Diese Geschöpfe, barbarisch in ihrer vöMigen Nacktheit, gleichen hierin ihren Nach- barn, den Madi, bis zu welchen die Eifenbeinhändler von Norden her vorgedrungen sind«.

X. KLIMA.

Der Nyanza liegt unter dem Aequalor, zum grössteii Theil auf der Südseile desselben. Er dehnt sich, abgesehen vom Baringo, von ca. 0°25' N. Er. bis 2^45' S. und von 32° bis über 35'/2° 0. L. von Gr. 2, also über mehr als drei Breitengrade und mehr als drei Längengrade.

Das grosse Bassin dagegen , aus welchem die Qnellsee'n des Nil die Gewiisser sammeln, hat noch eine weit bedeutendere Ausdehnung, nämlich gegen 8 Breiten- und mindestens 9 Längengrade. Es ist ziemlich gleichmässig auf beide Seiten des Aequator vertheilt.

Die Höhenlage des See's und der ihn umschlies- senden Hochländer ist nicht mit Sicherheit festgestellt. Als Speke zum ersten Mal den Nyanza erreichte (1858), bestimmte er -^ die absolute Erhebung des Spiegels zu 3740' engl. Später fand er am Nordende*

*) Siehe pag. 48, Note 1.

2) Setzen wir seine Milte annähernd in S. und 31° 0. von Par., so finden wir den See 9^^ südlicher und volle ld° östlicher, als vor 40 Jahren Riller Grund hatte, die Nilquellen zu ver- muthen. Erdkunde I. p 516.

3) Mittelst des Kochthermonieters.

^) Bei dem Kiponfall, auf dieselbe Weise bestimmt. Journal p 623.

54 Egli> die Entdecknng der Nilquellen.

3308'. Es scheint jedoch», dass beide Zahlen zu niedrig sind und die letztere auf mindestens 41 4200' engl., also auf ca. 4000' Par. erhöht werden müssen. Die Seehöhe des Luta Nzige Lake wird zu 2720' engl, angenommen 2. Demzufolge bewegt sich also das Gebiet der ,Nilquellensee'n' auf einer Stufenleiter von 2720—20000' engl., und ihr Mittel käme nahezu der Gipfelhöhe unsers Tödi gleich 3. Die meisten der ihm angehörigen Gegenden bleiben jedoch weit unter diesem Betrage zurück, und selbst für das ßergland Karagwe sind nur 5100' engl, angenommen, welche Zahl nach dem Maassstabe obiger Correction auf 55—5600' Par., also die Höhe des Rigiculm, zu er- heben wäre^.

Während der Speke'schen Expedition sind im Nyanzagebiete meteorologische Beobachtungen ange- stellt worden. Unter Francis Galton's Redaction berechnet, haben die Zahlen zu recht beachtens- werthen Resultaten geführt^. Dieselben sind von hohem Interesse für die Klimatologie Afrika's. ,Die Thermometeraufzeichnungen', sagt Galton, , wider- sprechen ganz den gewöhnlichen Vorstellungen von afrikanischen und äquatorialen Temperaturen' , wie

') Siehe Peterraann, Mittheilungen 1864, p. 391 und 1866, p. 120.

2) Ib. 1864, p. 391.

3) J. M. Ziegler, Hypsometrie der Schiceiz. 1853, p. 272. ^) Ib. p. 225.

5) Proceedings R. G. S., 1863, p. 225—228, Speke's Journal, p. 624. Eine Relation enthalten auch Pet e r raa nn's MUtheilungen, 1863, p. 388.

Egii, die Entdeckuug der Nilquellen. 55

ja auch das ünyamuesiplaleau < nicht unerträglich heiss gefunden wurdet, ,Die Zanzibarleute', erzählt Speke-', , zitterten bei den kalten Winden und glaubten, wir wären schon ganz nahe bei England , da dies das einzige kalte Land war, von welchem sie gehört halten*.

Das Jahresmittel von Karagwe beträgt 68'^ F. = 16- R. , ist also 6,7^ niedriger als zu Gondokoro und noch mehr, für den Sommer wenigstens um 10°, niedriger als zu Chartum •. Nur ein Mai stieg das Thermometer auf 85'^ F. Um 9 Uhr Abends bewegte es sich zwischen 60 und TT", in den kühlsten Nacht- stunden zwischen 57 und 65 . Auch in Uganda, 1700' niedriger, ist es erträglich; hingegen ist Ungoro entschieden heisser.

Regen fällt beinahe in allen Monaten. Eine fast unmerkliche Zunahme findet im April und November statt; allein sie erlaubt nicht, von einer Regenzeit zu sprechen 5. Eine jährliche Regenmenge von 49" ist auffallend gering für ein Aequatorialgebiet; aber sie wird erklärlich, weil die herrschenden Ostwinde ihre Feuchtigkeit an dem wallähnlichen Schneegebirge

') Unter 5^* S. Br.

-) Petermann, Mittheilungen, 1859, p. 510.

3) Journ. p. 200.

^) Siehe ,Sitzungsberichte d. k. k. Academie der Wissenschaften, malhematisch-nalurwissenschaftl. Classe' 1857, XXV, pp. 476—488 und .Denkwürdigkeiten', XV, p. Beobachtungen des P. Dovyak zu Chartum (Juni bis November 1852) und zu Gondokoro (Januar 1853 bis Januar 1854).

') Damit steht im Einklang die Geringfügigkeit der periodi- schen Schwankungen des See's.

XII. l. K

65 ^g[l>> <]ic Entdeckung der Nilquellen.

derKüstenreviere abgeben, ehe sie den See erreichen K Es haben zwar 2/3 aller Tage Regen, aber die Hälfte davon nur mit unmessbaren Schauern. Heftige Güsse von 1" und mehr kommen etwa ein Mal per Monat vor; sie liefern ca. V3 der ganzen Regenmenge. Hält man mit diesen Reobachtungen zusammen, dass in dem Stufenland von Gondokoro bis gegen Chartum hin die Zeiten scharf geschieden sind, so ergibt sich die Thatsache , dass die Nilschwelle überwiegend durch die Regen jener nördlichen Gebiete, weit mehr als durch die des Quellreviers, bedingt wird.

Wenn nach dem oben mitgetheilten die Ansichten des Posidonius, Eratoslhenes und Polybius'^^ bezüglich das temporirte Klima der äquatorialen Nilregion sich buch- stäblich bew^ährt haben, so kennen wir nun auch das ungefähre Maass dieser Erscheinung und können sie uns aus verschiedenen Factoren erklären Factoren, die freilich theilvveise noch nicht genau festgestellt sind und deren resp. Antheile wir noch nicht be- stimmen können 3. Diese Factoren sind zunächst die

*) Weniger wiU mir die erste Ursache, die in obiger Relation (siehe p. 64, Note 5) angeführt -wird, einleuchten: die nördlich vorliegende Sahara. In dem über 20 Breitengrade einnehmenden Zwischenraum gibt es ungeheure Ländereien mit acht tropischer Regenzeit.

2) Siehe Slrabo üb. XVII. l, 2.

3) Müller, Grundriss der Physik und Meteorologie, 4. Aufl. p. 475, nimmt die mittlere Jahrestemperatur für den Erdäquator zu 27,5° C. an. Wenn nun, wie aus einer grössern Zahl von Be- obachlungsreihen Studer, Lehrbuch der physischen Geographie, II, p. 286, findet, für je .550' (Par.) Erhebung die Temperatur um C. auch hier abnähme, so müsste für Karagwe ein Abzug von mindestens 10" in Rechnung kommen. So ergäbe sich theoretisch

Egii, die Entdeckung: der Nilquellen. 57

Höhenlage, deren Effect durch Umgebung, Windrich- tung und Niederschlag noch beträchtlich verstärkt wird. Der Umstand, dass der Nyanza von weiten Hochländern, selbst von Schneegebirgen umrahmt ist, den Wind vom Ocean her und zwar über eben diese Schneegebirge erhält und eine auffallend grosse Zahl von Regentagen hat, muss die Temperatur seines Gebietes merkbar erniedrigen.

In der That, ein so ausgedehntes, bestimmt um- schriebenes und reichbewässertes Hochlandsbassin kann nicht angethan sein, unsere gewohnten, den glühenden Küstensäumen und Wüsten entnommenen Vorstellungen afrikanischen Klima's durch eine neue Thatsache zu bestärken. Der Gegensatz einer Tierra caliente und einer Tierra fria ist unsern Ideen geläufig geworden: hier bietet sich eine analoge Erscheinung. Was die neue Welt unter 20° N. Br. verlegt, auf den Abstand einer Tagreise zusammendrängt und in verticaler Richtung 8000' auseinander rückt, das wiederholt wenn wir die Suahiiiküste und die Nyanzaländer vergleichen Ost-Afrika in der Ae- quatorialregion, in einem Abstand von sieben Längen- graden und mit nur der halben Verticaldifferenz.

XL NATUEGESCHICHTE.

Die botanischen Ergebnisse der Nilquellenexpedi- tionen sind dem Sammelfleisse Captain Granis zu verdanken und dürfen in der That, sollten sie auch

eine Mitleltemperalur von höchstens 17, j^ C. = 14° R. , also weniger als die Beobachtung (eines einzigen Jahres freilich!) her- ausstellt.

58 ^?Ii) ^^^ Entdeckung der Nilquellen.

nicht g-erade von grosser Bedeutung sein, mit Dank entgegengenommen werden. Zu den gewöhnlichen Widerwärtigkeiten einer afrikanischen Reise geseilte sich bei Grant noch ein hartnäckiges Leiden, welches ihn an das Zelt fesselte und wahrend eines bedeu- tenden Theils der Reisedauer selbst hinter dem Gros der Expedition zurückhielt.

Grants Sammlung macht keine andern Ansprüche, als denjenigen eines Beitrags zur botanischen Kennt- niss der Nilquellenländer und Osl-Afrika's. Wir haben hier nicht eine jener Leistungen, wo ein vor- her unerforschtes Gebiet mit Einem Schlag botanisch erschlossen vor uns steht, uns befähigend, es nach Maass und Zahl mit bekannten Regionen zu verglei- chen i. Die durchwanderten Länderstriche sind zu ungeheuer, als dass selbst ein Botaniker von Beruf unter gegebenen Umständen mehr als einen , Beitrag' hätte leisten können.

Grants Pflanzensammlung 2 wurde zu Kew durch Dr. Thomson geordnet und erntete das Lob des berühmten, nun verstorbenen Botanikers Dr. Hooker. Sie enthält, sofern wir nur die numerisch stark ver- tretenen Familien hervorheben :

111 Leguminosen,

67 Compositen,

55 Gramineen,

36 Cyperaceen,

') Siehe z. B. die Hooker'schen Arbeilen in James Clark Ross, Ä voyage of discovery and research in the Southern and ant- arctic regions during the years 18-'%3. London 1847.

2) Speke, Journal, p. 625 ff.

Egii , die Entdeckung der Nilquellen. g9

80 Rubiaceen,

27 Acanthaceen,

26 Labiaten,

23 Euphorbiaceen,

21 Malvaceen,

20 Convolvulaceen,

17 Cucurbitaceen,

17 Scrophularineen,

15 Asclepiadeen,

15 Liliaceen,

13 Capparideen,

12 Solaneen,

M Combretaceen,

10 Verbeiiaceen,

10 Urticeen, u. s. f.i.

Es sind im Ganzen etwa 750 Species, meist ein einziges gutes Exemplar, sorgfältig- ettiquetirt, mit Nummern, die sich auf ein Notizenbuch beziehen.

Etwa 420, vielleicht 450, gehören zu bekannten Arten; also ist V5, vielleicht Vs des Ganzen schon publicirt. Von den 250—300 unpublicirten Arten sind, ungefähr geschätzt, wenigstens Vs von frühern Rei- senden gesammelt, so dass nicht mehr als 80 100 Species ganz neu sind. Und selbst diess ist wahr- scheinlich überschätzt.

Lassen wir die ägyptischen Pflanzen ausser Be- tracht , so zeigt eine allgemeine Ueberschau der Sammlung die grosse Einförmigkeit tropischer Afrika- vegetation. Die kleine Zahl von Pflanzen deutet auf

') 77 weitere Familien mit je 1 9 Arten.

70 ^S^i, <^ie Entdeckung der Nilquellen.

eine arme Flora und darum wahrscheinlich auf ein relativ trockenes Klima. Wir finden darin eine grosse Zahl weitverbreiteter Tropenhölzer, deren meiste Indien und Afrika gemeinsam sind. Die Culturpflanzen, sorgfältig gesammelt oder notirt, sind eben so all- gemein verbreitet.

Die neuen Pflanzen gehören dem grössten Theile nach zu afrikanischen Genera; doch sind zwei {Har- risonia und Soymida), die vorher nur als indische be- kannt waren. Die Umbelliferen', welche sehr Be- achtung verdienen, gehören zu abessinischen Typen. Verschiedene Capgenera sind repräsentirt, z. B. Arc- totis und Cullumia, Hebenstreitia , Protea, Gnidia. Die Melastomaceen , und manche Labiaten, erinnern an die Flora von Madagascar, und in den Anona, Lophira und Landolphia haben wir westindische Formen bemerkt.

Ohne ein sehr sonderbares neues Genus von Leguminosen und ein anderes von Cyperaceen, welche schon von Dr. Kirk2 und Welwitsch eingesandt wurden, sind allem Anschein nach neu und bemer- kenswerthe Genera von Amarantaceen , Scrophularineen, Labiaten und Asphodeleen.

Die zoologische Ausbeute, gewissermassen garantirt durch die Schussfertigkeit unsers Nimrod^, bereicherte unsere Kenntniss um zwei Species von Wirbelthieren*, nämlich :

*) Nur sechs an Zahl!

^) Mitglied der Livingstone'scben Expedition zum Nyassasee 1859/61.

•') Speke, Journal, p. 230.

^) Eine Aufzählung der gesammten Jagdausbeute ib. XXIII und

Egli, die Entdeckung der Niiquellen. 71

a) Eine neue (Nzoe-) Antilope, Tragelaphus Spekii, von Dr. Sclater benannt, dem Wasserbocke des Ngamissee's ähnlich, aber mattgefleckt anstatt ge- streift, mit schön geschweiften Hörnern. Am Sumpf- ufer des Little Windermere.

b) Einen hübschen Ziegenmelker , Cosmetornis Spekii, ebenfalls von Dr. Sclater genannt. Die 7. Schwinge ist doppelt so lang als die gewöhnlichen, die 8. doppelt so lang als die 7. und die 9. misst 20". In der Gegend von Urondoganii geschossen.

Die beiden Novitäten sind im Reisetagebuch 2 ab- gebildet.

XII. ETHNOGRAPHIE.

Die Entdeckung des Nilquellenbassin erweiterte die Erdkunde auch in ethnographischer Beziehung.

Die Watiyamuesi^ kannte man zwar schon, da sie, erblich die grössten afrikanischen Händler und ,das einzige Negervolk , welches aus Liebe zum Verkehr und Tausch seine Heimat verlässt', als Träger sich verdingen und so die Suahiliküste und Zanzibar be- suchen. Die Tanganyikaexpedition ■' führte nun den ersten Europäer in die Heimat der , Mondleute', nach Unyamuesi, und auf seiner zweiten Reise hatte Speke noch einmal Gelegenheit, sie zu beobachten.

XXIV, diejenige der Fauna in Proceeditigs of the Zoological Society of London, 1863, pp. 1 ff., 105 ff.

1) Unterhalb der IsambaschneUen (p. 6l), also am Kari , dem Hauptarm des Nil.

2) Journal, p. 223 und p. 462. ^) Siehe oben pag. 53.

^) Siehe pag. 50.

72 Kgli, die Entdeckung der Nilquellen.

Die Wanyamuesi sind viel dunider^ a!s die der Küste genäherten Wazaramo und Wagogo, manche der Männer ansehnlich von Gestalt, aber leidenschaftliche Raucher und Trinker, auf der Reise wie im Felde allzuw^enig bedeckt 2, zu Hause mit einem Lendenzeug- gekleidet, wie auch die Weiber sich blos ein Baum- wollzeug rund um den Leib legen und im übrigen nur noch Zieraten anbringen 3. Im Vergleich zu den meisten übrigen Negern sind die Wanyamuesi ein rüh- riges, thäliges Volk. Sie pflanzen Holcus als Haupt- getreide , halten sich Herden kleiner, kurzgehörnter Buckelrinder, auch Ziegen % brauen ein schmackhaftes Bananenbier, Pembe genannt, weben Baumwollzeuge, schmelzen Eisenerz und fertigen Geräthe und Waffen. In den einen Gegenden bestehen die Dörfer aus Strohhütten, in andern aus einer einzigen grossen Lehmbaute, welche man Tembe nennt: ein Viereck, dessen Seiten durch Zwischenwände in die einzelnen Hütten, in Wohnungen und Ställe, getheilt sind und dessen Plattdach zur Aufbewahrung des Holzes und zur Darre für Getreide, Kürbisse etc. dient. Die unternehmenden Araber, die als Kaufleute nach Unya-

') Semitisch weniger angestreift? Siehe Andree, Globus, II, pag. 171.

2) Ein Ziegenfell, von der Schulter herabhängend, dazu noch Messing- und Kupferringe am Handgelenk.

2) Ein Halsband von Perlen , grosse Armbänder von Messing- oder Kupferdraht und namentlich ein Cebermass dünner Ringe, die aus den |Schwanzhaaren der GiraiTe gemacht und mit dem dünnsten Draht umwunden werden.

•*) Nicht aber Schafe, da diese, im centralen ünjamuesi wenig- stens, nicht fortzukommen scheinen.

Egii, die Entdeckung der Nilqiiellen 73

muesi kamen, haben seit kurzem angefang-en, Gross- farmer zu werden und dem Wohlstand der Einge- bornen bedrohliche Concurrenz zu bereiten K

Verlassen von mündlichen und schriftlichen Ue- berüeff^runoen, bleiben wir über die frühern Geschicke des Mondlandes im Dunkel. Durch die Hindus, welche früh an der Ostküste Handel trieben und in Elfenbein und Sciaven mit dem Innern verkehrten, kamen, vielleicht etwas vor Christi Geburt, die Bezeichnungen Mondland 2 und Mondleute und in Verbindung damit auch der Name Mondgebirge auf. Einst ein grosses Königreich bildend , ist das Mondland heute in viele kleine Staaten getheilt.

Einer eigenthümlichen Welt begegnen wir in den Völkern, welche an der Westseite des Nyanza wohnen, also in Vsinsa, Karagwe, Uganda und IJngoro'^. Hier sind zwei ganz verschiedene Bevölkerungs- elemenle zu unterscheiden: Unter den Wanyambo, den eingebornen , plebejischen , ackerbauenden Negern, herrscht ein eingewandertes Hirtenpatriciat von Wa- huma. Diese letztern, von hellerer Farbe, ovalen Gesichtern, grossen nussbraunen Augen und hohen Nasen, lässt Speke von den Gallas abstammen, die wie ihre Verwandten, die Abessinier, als Mischlinge semitisch-hamitischer Eltern anzusehen wären ; die Wahuma hätten einst, nach Süden und Süd-Westen auswandernd, weile Gebiete erobert und so den An-

') Speke, Journal, p. 150.

2) Chandristan in der von Spelie raitgelheilten Carte Rwer Call or Great Krishna, from Ihe Purans by Lieul. Francis Wilford.

3) Pag-. 58.

74 Egii, die Entdeckung der Nilquellen.

lass zur Gründung des mächtigen Reiches Kittara gegeben, das später in seine heutigen Bruchstüclie zerfallen sei. Noch heute lassen die Wahuma, ob- gleich sie Negerinnen heiraten , ihre Töchter keinem Wanyambo, um der völligen Vermischung vorzu- beugen K Die Amalgamalion scheint jedoch in Usinsa schon ziemlich vollständig erfolgt zu sein.

Die Hauptgetreide sind Mais und Durrha. Von Bananen wird vorzüglich Bier gebraut. Der Haupt- reichthum besteht in dem kleinhöckerigen, grosshor- nigen 2 Rindvieh, dessen Milch und Fleisch zur Nah- rung dient. Die Männer trinken nur süsse, die Weiber nur saure Milch. Mit Milchbrei mästen die Vornehmen ihre Mädchen und Frauen 3. Die Natio-

') Weit verbreitet trifft man unter ihnen die Sage, ihre Vor- fahren seien zur Hälfte weiss und schlicbthaarig, zur andern Hälfte schwarz und kraushaarig gewesen.

2) Ein Kuhborn, das sich Speke vom König von Karagwe aus- bat, war 3' 5" (engl.) lang und halte am Grunde 18^*" Umfang. {Journ. p. 227.) Vergl. Herod. IV. 183.

3) Nöthigenfalls mit Gewalt; for as falteniny is the first duly .of fashionable ßmale Ufe , ü must be duly enforced by the rod if ne-

cessary. Ein Bruder des Königs zeigte am 14. L)ec. 1861 unserm Reisenden eines seiner fetten Weiber. Sie konnte nicht anders stehen als auf allen Vieren und halte (in engl. Mass) folgende Dimensionen: Oberarm l' 11"

Brust 4' 4"

Schenkel 2' 7"

Wade 1' 8"

Höhe 5' 8" Letztere Messung sei ungenau, da man die Frau nicht auf- stellen und auch nicht wohl auf den Boden legen konnte (p. 231). Vergl. übrigens den Araber el Bekri nach dem Journ. As., Juin 1859, p. 474.

Egli , die Entdeckung der Nilquellen. 75

nalkleidung besteht aus einem ärmellosen Hemd aus Mbugu^, weiterer Schmucii aus Schnüren von Glas- perlen. Man wohnt, Vornehm und Gering, in halb- kugeligen Grashütten. Die ganze Bevölkerung ist acht afrikanisch 2 tief in Aberglauben aller Art versunken. Wer Schweinefleisch, Fische, Geflügel oder von der Maharaguebohne 3 isst, darf nicht von der Milch ihrer Kühe trinken ; sonst werden diese ver- hext. Zwerge, die auf Bäumen leben, kommen un- bemerkt vor die Hütten der Menschen, rufen einen der Bewohner heraus, schiessen einen Pfeil in sein Herz und verschwinden wieder, wie sie gekommen.

') Ein Leder, aus der Rinde einer Feigenart, Ficus Ecotschyana Miq , bereitet (Speke, Journal, p. 647). Der Baum wird oben und unten rundum eingeschnitten und die Rinde abgeschäU, in Wasser eingeweicht und hernach mit eignen Hämmern tüchtig be- arbeitet, dass der Stoff corduanartig gerippt wird. Zu einem Kleide näht man die erforderliche Anzahl von Stücken so zusammen, dass es unter der linken Achsel durchgeht und auf der rechten Schulter zugeknöpft wird. Die Zubereitung und Verarbeitung des Mbugu bildet namentlich in Uganda einen bedeutenden Industriezweig, und das Fabrikat ist oft von überraschender Feinheit und Sauberkeit [Journal, pp. 164, 285, 290). Wenn man den geschälten Baum sogleich in Pisangblätter einwickelt, so bekleidet er sich mit frischer Rinde und nimmt keinen Schaden [Journal, p. 154).

2) Speke, Journal, p. XIIJ : Whilst the people of Europe and Asia were blessed by communion with God through the medium of His prophets, and obtained divine laws to regnlate their ways and keep Ihem in mind of Him who made them, the Africans were exciuded from this dispensalion, and consequently have no idea of an overruling Providence or a future State; they therefore trust to luck and to charms, and think only of self-preservation in this World.

3) Labiab vulgaris Sav. (Speke. Journal, p. 631).

76 Eg[l>i die Entdeckung der Nilqaellen.

Aber schrecklicher sind die üng^eheuer, die nicht mit Menschen zusammenleben können und sich nie zeig^en, als wenn sie Weiber vorbei gehen sehen; dann drücken sie diese in wollüstiger Erregung zu Tode.

Der Myanga {== Zauberer) ist eine hochwichtige Person. Auf ihn hört die Menge; er leitet, wie einst die Päpste Europa's, den Sinn der Könige. Er ent- scheidet durch grauenhaften Hocuspocus über Krieg und Frieden 1. Er besitzt den Schlüssel des Landes ; denn für den Fall , dass der und der Reisende es betrete, hat er nur Trockne, Hungersnoth, Krankheit, Krieg und dergleichen Calamitäten voraus zu sagen, so werden Häuplling und Volk alle ihm glauben. Sein Divinationsgeräth ist das Uganga, ein Kuh- oder Antilopenhorn voll Zauberpulver, ebenfalls Uganga genannt. Dieses ,Wunderhorn', angesichts des Dorfes in den Boden gesteckt, wehrt den Angriff des Fein- des ab; in des Zauberers Hand verhilft es zur Ent- deckung alles dessen , was verloren oder gestohlen wurde. Die Stimme gewisser Vögel und anderer Thiere verkündet Glück oder warnt vor Gefahr. Um den bösen Geist zu versöhnen'^, wird etwa beiseit ein winziges Hüttchen gebaut und Korn darauf ge- legt; das ist der Opferaltar, die Kirche, das , Uganga' des Afrikaners.

Als geweihte Personen sieht er auch die Wich- wezi an , Weiber in äusserst phantastischem Mbugu-

') Speke, Journal, p. 21. Vergl. Cäsar, Bell. Gall. I, 50.

2) ,Der Geist dieser Religion wenn noan so sagen darf ist nicht sowohl Anbetung eines höchsten und wohllhäligen Wesens' als ein Opfer an gewisse feindselige Furien' (Journal, p. 441).

Cgli, die Entdeckung der Nilquellen. 77

gewande , bedekt mit Perlen, Muscheln und Stäben. Ihre V^errichtungen sind eben so dunkel wie die Ne- ^erreligion überhaupt. Sie scheinen ein wanderndes Leben zu fuhren und begleiten ihren Tanz mit komi- schem Gesang-, dessen Refrain ein langandauerndes, schrillrollendes Kuru-Kuru, Kuru-Kuru bildet.

XlII. ETHNOGEAPHIE. (Fortsetzung.)

Dem Character der socialen Zustände entspricht vollständig die Culturstufe dieser Afrikaner. Die plebejischen Wanyambo sind so viel wie Hörige; sie zahlen monatlich ihre Abgaben in Elfenbein, Lebens- mitteln und Sklaven. Der König ist der grosse, der Dorf- oder Districtshäuptling der kleine Despot'.

Der Häuptling hat folgende Einkünfte:

a) Frei Getränk'^ von dem Bier, welches die Dorf- leute abwechselnd brauen;

b] Jagdsteuer, nämlich von jedem getödteten Ele- phanten Fleisch und einen Stosszahn, sowie alle Leoparden-, Löwen- und Zebrahäute;

c) Ho7igo-\ d. i. die Erpressung für transitirende Güter, ganz in der Willkür des Häuptlings;

d] Conßscation der Güter solcher, die für Zauberei, Diebstahl oder Mord gelödtet werden.

!) Schon die Beinamen, unter dem manche Häuptlinge bei Ihresgleichen und Untergebenen bekannt sind, lassen auf ihr Wesen und Treiben schliessen. Da kommen z. B. vor: Khombe la Simba = Löwenkralle, Manua Sera = Zecher, Mukia ya Njani = A(Ten- schwan/., Pongo = Holzbock u. a. m.

-j Vergl. Homer Od. XI, 184—187, sowie Herod. I, 192.

•') Im plur. lUahonyo geuannl.

78 ^S^', <)>c Entdeckung der Nilquellen.

Seiner Natur nach lastet der Hongo nicht nur auf der Handelswaare der Kaufleute, sondern auch auf der Equipirung der Forschung-sreisenden. Die Häuptlinge halten durch Ausflüchte und Gewalt den Europäer Monate lang- zurück, um möglichst viel von ihm zu erpressen, selbst Thermometer, Sextanten, Chronometer u. dgl., gewöhnlich aber Baumwollzeuge, Messingdraht und Perlen, die gewöhnlichen Zahl- mittel in jenen Gegenden.

Die absolute Macht , welche dem König einge- räumt ist, wird verhängnissvoll durch die rohe Ge- müthsart des Herrschers, sei dieselbe von mürrischem, misstrauischom und filzigem Wesen, wie Kamrasi, der König von Ungoro', oder ein rasch auflodernder, heftig-ungestümer Despot, wie Mtesa, der König von Uganda. Wie die Waganda überhaupt wegen ihrer Lebhaftigkeit, wie wegen ihres guten Geschmackes im Benehmen, Anzug und Häuserbau ,die Franzosen Inner-Afrikas' genannt v^^erden-, so hat sich während des langen Aufenthalts, zu dem sich die Speke'sche Expedition an seinem Hofe gezwungen sah^, der

') Sir Rod. Murchison's Annuary Address vom 25- Mai 1863 in Journal R G. S. 1863, p. CLXXVII: The procraslinalion of Ihe kiiig Kamrasi and Ihe troubles of the travellers when they were gcUing^ lo Ihe end of their jouruey, were uiost ennoying, the barbarian succeeding in taking from Ihem their only remaining Chronometer.

2) Ib. p. CLXXVI. Ein anderes Vergleichsmoraent hebt Speke hervor, wenn er (p. 378) sagt: for all Wayanda, instrucled by the vourl, know the art of flattery better than any people in the world, even including the French.

3) Vom 19. Februar bis 7. Juli 1862.

f

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. 79

Landesherr als unstäter, jähzornig-er, lebensfroher Nimrod erwiesen.

Als er von Speke's Ankunft hörte, so tanzte er vor Entzücken und schwor, nicht mehr zu essen, bevor er den Mzungu {— den Weissen) g^esehen hätte. Ist es möglich? fragte er immer und immer wieder den Boten. Diese Freude verhinderte jedoch nicht, die Ankömmlinge lange warten zu lassen ; denn es regnete , und bei Regen darf der König Niemand empfangen. Als dann aber die Geschenke ausgelegt wurden, benahm er sich wie ein närrisches Kind und machte an einem der folgenden Tage bei all' seinen Verwandten die Runde, die schönen Dinge zu zeigen. Am meisten Vergnügen machte ihm die Flinte, die Whitworth's rifle. Mit ihr schoss er nach Laune Kühe nieder, die in der Nahe weideten, oder auch Leute, die er zufällig vorbei gehen salii. Einmal gab er seinen Beamten, die vor ihm lagen, einen blinden Schuss in's Gesicht und lachte dann hellauf über das Kunststück. Als er den ersten Vogel auf einem Baume traf, gerieth er ausser sich vor Freude. Kaum fähig, an so viel eignes Geschick zu glauben, stand er zuerst wie versteinert und rannte dann wie toll auf den gefallenen Vogel hin. Hu hu hu! ist das möglich? hu hu! Er hüpfte hoch auf, während sein ganzes Gefolge mit ihm laut aufschrie. Dann stürzte er auf seinen Gast los, schüttelte diesem die beiden Hände, hu hu! rannte hierauf zu seinen Weibern, dann zu den Höflingen, unter hu hu! allen die Hände zu schütteln.

*) Vergl. Herod. III. 35.

so £gli> die Entdeckung der Nilquellen.

Mtesa's Erkenntlichkeit ging indess nicht so weit, dass er lur die gewöhnlichsten Bedürfnisse seiner Gaste gesorgt hätte. Er versah sie nicht mit Lebens- milteln, und den Waganda ist verboten, königlichen Gästen etwas zu verkaufen. So biieb trotz alier Reciamationen Speke nichts übrig, als von Plünde- rung zu leben i.

Fast täglich geht der König, begleitet von einem Schwärm von Weibern-, auf die Jagd. Die allzeit flinken Boten seiner Laune sind die Pagen, kleine Knaben, deren Kopf bis auf zwei seitliche Quasten rasirt ist. Seine Beamten sind bei Gefahr der Con- liscation an Gehorsam gebunden, wie sie umgekehrt als Gnadenbezeugung confiscirte oder erbeutete Wei- ber von ihm geschenkt erhalten. Mtesa hält Volk, Hof und Harem •^ durch tätliche Hinrichtunjjen im

') , Uganda is before you' {Journal, p. 376).

2) Deren er 3 400 hat.

^) .Fast jeden Tag, seit ich hier bin, sah ich so unglaublich es scheinen mag 1,2 oder 3 der unglücklichen Palaslweiber gebunden zur Hinrichtung wegführen. Und wenn sie so in äus- serstem Jammer unterwegs schrieen: Hai Minange! Kbakka! Hai N'yawo! {= O mein Ilerrl mein König! meine Mutter !) war kein Mensch, der die Hand für ihre Befreiung zu erheben wagte' {Jour- nal, p. 358). Auf einer Jagd bot eines seiner Weiber, offenbar hoffend, ihm damit besonders zu gefallen, Mtesa eine Frucht an; da gerieth er wie ein Verrückter in äusserste Wuth. Das sei das erste Mal, dass ein Weib die Unverschämtheit habe, ihm etwas anzubieten. Er befahl, sie zu binden und zur Hinrichtung abzu- führen. Als dann alle vor ihm niederfielen und um Vergebung für die Sünderin baten, wurde er so brutal, dass er einen Stock ergriff und auf das Opfer losschlug. Dies Mal fiel ihm Speke in den Arm und rettete die Frau (p. 394).

Egii, die Entdeckung der Nilquellen. 31

Zaum. Niemand darf unbefragt zu ihm sprechen i, Niemand ausser königlichen Personen das Fell der Leopardkalze (Felis Serval) tragen, Niemand ausser dem König anders als auf dem Boden sitzen, Niemand in seiner Gegenwart stehen, Niemand die Hoffrauen oder Hofvisite anschauen, Niemand von des Königs Stammbaum sprechen u. s. f. Die gewöhnliche Strafe für diese Vergehen ist der Tod. Für die geringste Gunst muss man niederknieen und dabei die Hände verwerfen, dann sich platt auf den Bauch legen und so wie ein Fisch auf dem Lande umher wälzen und während all' dieser Bewegungen fortwährend die Worte n'yanzig, n'yanzig, ai n'yanzig Mkahma wangi .... wiederholen. So ,n'yanzigen' z. B. seine Pagen, wenn er die Bissen, die ihm zu zähe sind, aus dem Munde nimmt und ihnen zuwirft 2, und nicht minder ,n'yanzigen' die Statthalter seiner grössten Provinzen, wenn sie bei Hofe erscheinen 3.

XIV. ETHNOGRAPHIE. (Fortsetzung.)

Von Seite dieses gewallthätigen Herrschers hatten sich unsere Reisenden ziemlicher Gunst zu erfreuen; andere hingegen benahmen sich als habsüchtige Räu- ber. Kamrasi wollte durchaus Speke's letztes Chro- nometer annexiren und fiel durch beständige Bettelei sehr lästig. Kolossal waren aber die Erpressungen, welche sich die Usinsa-Häuptlinge Lum^rezi und 5m-

') No one can speak at this court tiU he is spokeu to , and a Word put in out of season t$ a life lost (p. 324).

2) Speke, Journal, p. 392.

3) Ib. p. 429.

XU. 1. Q

32 Eglii die Entdeckung der Nilqaellen.

warora erlaubten. Waren ihre übertriebenen Wünsche befriedigt, so verdoppelten und vervielfachten sie ihre Forderungen.

Gegenüber solchen Erfahrungen musste eine Er- scheinung wie Rumanika, der König von Karagwe •, äusserst wohlthuend sein. Sie harmonirte mit der Cultur seiner Felder und mit der Anmut seiner Thäler und See'n. Sobald der Reisende den Boden von Karagwe betrat, wurde er von den Häuptlingen als Gast behandelt und mit Lebensmitteln und vor- züjjlichem Tabak reichlich beschenkt: er konnte sich frei bewegen und war der zudringlichen Bettelei los.

Als er dann die grünen Weranhaiijeberge her- niederstieg, erblickte er in der Tiefe des Thaies, friedlich zwischen die gefurchten Anhöhen gebettet, jene Seefläche, welche Grant mit dem reizenden Linie Windermere Englands verglich, und auf einer weilblickenden Terrasse den Hain, welcher die 40-50 Hütten der königlichen Residenz umschloss. Die Reisenden wurden zu einer schrägbedachten Baraza geführt, einer Art Staatsgebäude, das die Araber für diesen Zweck gebaut halten. Drinnen empfing sie der König, auf dem Boden sitzend mit kreuzweis übergeschlagenen Beinen, in eine iarabische schwarze Choga gehüllt, mit Staatsslrümpfen reichgefärbter Perlen und mit hübsch gearbeiteten, kupfernen Ge- lenkbändern geschmückt, zur Seite sein Bruder, beide Männer von edler Erscheinung und Gestalt, und im Hintergrunde hockten mäuschenstill, in lederne middte- coverings gekleidet, die sämmtlichen Söhne des Königs,

*) Siehe pag. 58.

Egil, die Entdeckung der Nilquellen. 83

ihrer 6—7 Jung^en. Die erste Begrüssung des Königs, in gutem Kisawnhili ' gesprochen, war herzh'ch warm. ,Er bat uns, ihm gegenüber i^latz zu nehmen, fragte, was wir von Karairwe, seinen schönen Bergen und seinem wundervollen See denken? Dann unter Lachen erkundigte er sich er wusste schon die ganze Gesciiichte nach unserm Empfang bei Suwarora und wünschte zu erfahren, wie wir den Weg über die ganze Weit fänden? Und als wir ihm die Erd- oberflache in ihrer Vertheilung von Land und Wasser beschrieben und die gewaltigen Schiffe, in denen wir die Waaren , selbst Elephnnten und Nashörner, ja alle Thiere der Well, über das Meer führen ; als er hörte, dass wir im Norden zu Hause seien und diesen Weg nur eingesclilagen hätten, weil uns sein Freund Musa2 versicherte, er würde uns für die Weiterreise behüinich sein: da war sein Erstaunen gross, und sein Geist wurde so erregt, dass er über hundert Dinge Auskunft verlangte. Die Stunden flohen wie Zauber dahin. Als der Abend nahte, liess er uns die Wahl, in oder ausser seinem Palast unsern Auf- enthalt zu nehmen.

Eiimial sah mich einer der jungen Prinzen sie

') Die Sprache der Eiistenbewohner oder Sawähili (gesprochen Saweili, da das h in der Aussprache dieser Stämme verschwindet), TOiu arabischen sahil (Plur. sawähil) = Küste, also sawaluli = von den Küsten, zu den Küsten getiörig oder Küslcnbewohner. AHe Neger, welche aus den verschiedenen Gegenden des Ifinern zur Küste gebracht werden, lernen als Sclaveu das Kisawähili; darum eignen sich die Wanguana (siehe pag. 53, Note l) so vor- züglich als Dolmetscher für die Reisen im Coutinent.

2) Siehe pag. 54.

§4 ^gl>> die Entdeckung der Nilquellen.

hatten Befehl, beständig unsers Dienstes gewärtig sein auf meinem eisernen Feldstnhl sitzen. So- fort rannte er zu seinem Vater und versetzte so den ganzen Hof in Erstaunen; denn alles wollte sehen, wie die Könige der Wazungu* auf dem Throne sitzen. Oieses Ereigniss führte Rumanika wieder zu einer Menge Fragen 2, und hefriedigt über die er- haltene Auskunft, rief er unter ausdrucksvollem Kopf- schütteln : 0 Ihese Wazungu, tfiese Wazungul They Iknow and do every thing!

Dann fragte ich ihn, warum die Wahuma uns weder für Geld noch zu Gefallen Milch geben? Er werde doch nicht auch in jenem abgeschmackten Irrthum 5 stecken? Schnell antwortete der König, nur die Armen glauben so, und er setzte für unsern Bedarf eine Kuh bei Seite (sie!). Ja, bei einer an- dern Gelegenheit bekannte er rund heraus, dass in air diesen Gegenden er am wenigsten abergläubisch sei*. Auch bezüglich des Heiratens schien er die Ansichten eines Freigeistes zu haben, indem er auf-

*) Siehe png. 53, Note 2.

2) Z. B. ob es wahr sei, dass die Wazungu einen Menschen- schädel öffnen, das Gehirn unlersnclien und jenen wieder schliessen können? Ob wir die Welt durchfahren bis zu den Gegenden, wo zwischen Tag und Nacht kein Unterschied mehr sei? Ob das die- selbe Sonne sei, die jeden Tag wieder erscheine oder ob täglich eine frische aufgehe? Ob der Mond, uus zu Spoil, der Erde so Gesichter zuschneide?

3) Siehe pag. 75.

*) ,You must not expect ever to find again a reasonable man like myself (Speke, Journal, p. 233}.

Egii, die Entdeckung der Nilquellen. S5

lachend es ein Geldgeschäft nannte«. All' das hin- derte indessen nicht, dass der um seinen Thron sehr besorgte Mann uns einen wunderbaren Beweis seiner Legitimität erzählte 2 freih'ch nicht von sich aus, sondern erst auf Anregung seines Zauberers.

Rumnnika anerbot mir, erzählt Speke3, eine grosse Decke, die in ausgesucht hübscher Weise von den ganz kleinen Häuten der N'yeraanlilope zu- sammengenäht war. Ich lehnte sie ah, weil ich wusste, dass er sie seihst geschenkt erhalten, und fügte hei, in Europa gehe man nichts weg, was man von Freunden bekommen. Diese Bemerkung prickelte ihn so, dass er erklärte, er werde nie etwas von dem weggehen, was ich ihm geschenkt. Es war übrigens ein Genuss, ihn zu beschenken. Einmal, da ich ihn wieder mit eiuiiren Sachen erfreut hatte.

^) Ib. p. 240: ,Mariiage in Karagwe is a mere matter of mo- ney'. Vergl. Hom. Od. XV, 16. 17.

') Unter andern Proben, denen ein Thronerbe in Karagwe sicli /u unterwerfen habe, sei auch die, dass er sich irgendwo auf den Boden setze, der sich dann allmälig bis zum Himmel erhebe und hierauf entweder

a) elastisch sanft sich wieder senke, oder

b) urplötzlich einstürze, um den unglücklichen Candidaten zu zerschmettern.

Diese Probe will Rumanika glücklich bestanden haben. Als er auf Speke's Fraj;e, ob er droben kalt gehabt, mit Ja anlworlete und diesen ob dem ZiisammentrelTen auflachen sah, ^^urden er und sein Zauberer Kijengo verdulzl; sie meinten, es wäre etwas ver- kehrt. Darum kehrte Kyengo die Sache um, behauptend: es müsse droben heiss sein, da man ja, je höher man steige, der Sonne desto näher komme {Journal, p. 222).

3) Journal, an verschiedenen Orten.

^5 Bgli , die Entdeckung der Nilquellen.

äusserte er die Besorgniss, dass er mich so um alles bringe.

Er hörte gern von der Verwaltung der weiten Besitzungen des britisclien Reichs erzählen und fand, die Feder habe mehr Gewalt als das Schwert, und der elektrische Telegraph und die Dampt'masciune seien die wundervollsten Kräfte, von denen er je gehört habei. Unbegreiflich blieb ihm, wie ein so weites Reich durch ein Weib regiert werden könne. Und als ich ihm von der Erschaffung der Menschen erzählte, hörte er aufmerksam zu und fragte, was wohl das grösste aller erschaffenen Dinge sei; denn während der Mensch höchstens hundert, ein Baum viele Jahre lebe, so sei doch die Erde das grösste, da sie nie sterbe'.

Diesen wenigen Zügen aus der Charakteristik des Herrschers von Karagwe lässt sich kaum ein würdi- gerer Schluss beifügen, als die folgenden Worte:

Life is never taken in Karagwe, either for murder or cowardice, as the value so much their Wahuma hreed; tut, for all offences, fines of cows are exacted according to the extent of the crime ^.

XV. RÜCKBLICK.

Bevor wir erörtern, inwiefern die Resultate der

') Befragt, womit ein allfäUig späterer Besurher ihn am mei- sten erfreuen könnte, verlangte er neben Spieluhren u. a. nament- lich auch Modelle von Pferden, Kutschen und Eisenbahnen. Mlesa und Eamrasi hingegen verlangten vor allem mit Vehemenz Reiz- mittel; die Familie sei nicht hinreichend gross, um die Würde aufrecht zu halten {Journal, pp. 446 und 520). Welcher Absland'

2) Speke, Journal, p. 240.

Egii , die Entdeckung der Nilquellen. 87

Speke'schen Expedition in den drei seither verflos- senen Jahren ergänzt wurden, fassen wir jene kurz zusammen.

Die Expedition von 186%3 hat

a) den Plan, Afrika von der Zanzibarküste bis Aegypten zu durchreisen, glücklich ausgeführt;

b) 104 Punkte astrononäsch fixirt, davon 71 auf der Südhalbkugei, und zwar 20 auch hinsichtlich der Länge;

c) auf thermohypsometrischem Wege 72 Punkte bestimmt;

d) die Hochländer am West- und Nordufer des Nyanza, die durch die Tanganyikaexpedilion erst dem Namen nach bekannt geworden, orographisch beschrieben;

e) den Nyanza wiederholt gesehen und seine unge- fähre Ausdehnung mappirt, ebenso die Systeme seiner westlichen Zuflüsse und seiner Abflüsse mit deren obersten Fällen und Stromschnellen incl. des Karumafalls;

f) die magnetische Variation von 17 Punkten angegeben, meteorologische Beobachtungen angestellt und dadurch die Erklärung der Nilschwelle ihrem Abschluss entgegen- geführt;

g) einen Beitrag zur botanischen und zoologischen Kenntnisse des Nyanzaheckens und seiner südlichen Nach- barschaft geleistet mit einer Zahl von Novitäten;

h) Licht über die elhnographisch-social-culturhistorischen Zustände verbreitet;

i) manche Erkundigungen verschiedener Art über die umliegenden Regionen eingezogen.

^) Das Journal enthält allerdings auch geologische Angaben, aber so spärlich und allgemein gehalten, dass es nicht gelingen will, ein Bild daraus zu construiren.

88 Egii, die Entdeckung der Nilqaellen.

Was aber von Anfang an allen andern Zielen vorangestellt, ja ojeichsam als einziges grosses Ziel aufgesteckt wurde, das war die Feststellung der Thatsache, dass unser Bahr-el-Abiad, der Strom von Galuffi-Gondokoro, aus dem Nyanza kommet, also der Beweis für die Behauptung, welche Speke bei Ent- deckung des Nyanza schon aussprach 2.

Hat die Expedition diesen Beweis geleistet?

Strenge Kritiker haben diese Frage verneint und in gewissem Sinne mit Recht. Die Expedition hat denKivira^ da verlassen, wo alles darauf ankam, ihn weiter zu verfolgen^, und sie hat den Strom von Galuffi erst 20' nördlicher erreicht. Mit andern Worten: es fehlt alle Autopsie über

a) den Stromlauf vom Karumafall bis zum Luta Nziffe Lake,

*) Oder wie Speke von Alexandrien aus an Sir Rod. Mur- ebison, den Präsidenten der Londoner Geogr. Gesellschaft, tele- graphiren Hess: The Nile is settled. Siehe J. R. G. S. 1863, p. CLXXIII in der ,Anniversary Address' vom 25. Mai 1863. Die erste De- pesche an Herrn Layard hatte nur die glückliche Ankunft der Expedition gemeldet. Proceed. R. G. S. VII, p. 109.

2) Siehe p. 52,

3) Wir werden einstweilen den Abfluss des Nyanza mit dem Namen bezeichnen, welchen ihm, zufolge der zur Zeit der Tanga- nyikaexpedition eingezogenen Erkundigungen, die Eingebornen geben sollten. Im vorliegenden Abschnitt ginge es nicht an, ihn Nil zu nennen; auch Karl und noch mehr Luajerri oder Mwirango oder Rafu scheint unpassend (pag. 56). Von ,Somerset River' kann aus einleuchtendem Grunde noch keine Rede sein (pag. 102).

') Es ist wohl selbstverständlich , dass wir das einer Expedi- tion gegenüber, die das Menschenmögliche geleistet, nicht im Tone des Vorwurfs sagen.

Egli, die Entdeckung der IVilquellen. ^9

b) den Luta Nzige Lake selbst,

c) den Stromlauf vom Lnla Nzige Lake bis Gaiuffi, und so bestimmt auch die Aussagen der Ein^ebornen hierüber lauten und unter sich im Einklang stehen, so ist hinwieder nur zu bekannt, dass andere Rei- sende gerade in Afrika vielfach durch derartige Wegleitung irre geführt worden sind. Könnte der Kivira nicht etwa die bei dem Karumafall angenom- mene Westrichtung im Ganzen beibehalten und ent- weder

a) als Steppenfluss im Innern des Continents sein Ende nehmen, oder

b) an der Küste von Nieder-Guinea, etwa als einer der Tributären des Zaire, seinen Ausweg zum Ocean finden ?

Zufolge Petherick's Erkundigungen' soll zehn Tagereisen südlich von , seinem' Mundo 2 ein breiler und tiefer, westwärts fliessender Strom die Südgränze der Nyam-Nyam bilden 3. ,

Es ist wahr, damit würde eine alte Annahme beslätifft*. Dieser Annahme es ist vorläufig nur

1) Siehe Peter mann und Hassenstein, Zehnblattcarte von Inner- Afrika, Blatt 8.

2) VicUeicht unter 1—2° N. Br.

3) Uml damit steht eine aridere, freilich zweifelhafte Erkundi- gung Morlangs eher in Einklang als in Widerspruch. Siehe Peterraann und Hassenstein, Hlalt 8.

') Duarte Lopez, der von 15 78 an längere Zeit in Nieder-Guinea sich aufhielt, halle von Händlern, die den Erdlheil quer durch- zogen, in Congo gehört, dass der Zaire aus einem ,IMeer' des Innern komme. Siehe Pigafelta, Relalione del lleame di Congo, 1591, p. 79.

90 Egii. die Entdeckung der Nilquellen.

vom Kivira die Rede steht in der That, soweit unsere Kenntniss reicht, kein Hinderniss, namentlich kein orographisches, entgegen ; denn westlich von 50 49° 0. L. von Ferro ist die Aequatorialregion Africa's eine vollständige terra incogfnita.

Es lässt sich also die Möglichkeit zugeben, dass der Kivira einen ganz andern Weg als über Galiiffi nehmen könnte, und dass somit der Strom von Ga- luffi nicht absolut als Abfluss des Nyanza betrachtet werden muss. Allein dann entsteht die Frage: Wo- her kommt jener zweite (GalufFi-) Strom?

Miani und Speke, sonst nicht sehr harmonirend, antworten übereinstimmend , dass sie ihn bei GalufFi scharf aus seiner Nurd-Sudrichtung umwenden i und aus Süd- Westen kommen sahen, und Speke hat ihn zwischen Karuma und GalulTi nie getroffen. So muss denn der Galuffistrom kommen entweder

a) aus Süden oder

b) aus Süd-Westen oder

c) aus Westen.

Die erstere Richtung, etwa von den Mfumbiro- bergen her, kann er nicht haben, ohne mit dem eigensinnig westwärts fliessenden Kivira zu kreuzen. Aus Westen kann er nicht kommen, da er 2 auf ebenso fatale Weise mit dem Jeji zusammenträfe. So muss er wohl die Mittelrichtung haben. In diesem Fall aber gönnen der west- oder südwestwärts ab-

') Indem wir so sprechen, denken wir uns, wie es bei Miani (p. 48) der FaU war, Ton Gondokoro kommend und den Strom aufwärts mit dem Blicke verfolgend.

2) Zwischen 3 und N. Br.

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. 91

fliessende Kivira einerseits., der nordwärts gewendete Jeji anderseits dem problematischen Oberlauf des Galiiffistromes so wenig Stromentwickeiung, dass man billig fragen darf, wie er denn eine solche VVasser- masse nach Galuffi bringen könne. Es ist offenbar nicht nolhwendig allerdings, aber weil natür- licher, die beiden <> rossen, auf l'/s Breitengrade sich nähernden Stromslücke als zusammengehörig anzu- sehen, anstatt sie auseinander zu zwingen, zumal mit jener Annahme nicht nur die Zeugnisse der Ein- gebornen, sondern auch die hypsometrischen Ver- hältnisse harmoniren.

So darf man wohl aussprechen: Die Speke'sche Expedition hat den Zusammenhang des Galuf/istromes und des Kivira nicht bis zur Evidenz bewiesen, aber sehr wahr^ scheinlich gemacht.

Die Aufgabe, welche die Expedition zu lösen unternommen, wurde ziemlich allgemein mit der Auf- findung der ^'ilqueUen indenlificirt. Als sich dann die hohe Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges der beiden Stromstiicke ergab, war demnach auch die Frage der Nilquellen so viel wie enlscliieden, und der Reisende selbst bekennt sich offenbar zu dieser üeberzengiingi. Es lässt sich nun freilich mit dieser Auffassung, als einer Vermengung zweier verschie- dener Fragen, streiten. Denken wir uns Miltel-

*) Gibt er doch seinem Reisetagebuch den Titel: Journal of the discovery of Ihe soiirce of ihe Nile. In gleichem Sinne spricht er an vielen Sicllen, z. B. p 279 bei der Passage des Mwerango, p. 459 und 460, wo er den Kari bei Urondogani betritt oder p. 466 bei dem Riponfall.

92 Egli , <^ie Entdeckung der Nilquellen.

Europa als unbekannt, und wir waren vom adriati- schen Meere her an den Bodensee und län<?s des Rheins bis Rotterdam gelangt: iiesse sich dann be- haupten, die Rheinquellen seien gefunden? OlFenbar nicht. So kann man sagen sei auch die wahre Quelle des Nils noch nicht bekannt; es handle sich erst noch um Auffindung, resp. Feststellung desje- nigen Nyanzazuflusses, der nach seiner Wassermasse, wie nach Richtung, Länge und Gebietsareal, das Recht hat, als Quellfluss angesehen zu werden. In dieser Hinsicht huldigen wir der Ansicht Peter- mann's, wenn er' sagt: ,Bei der, wie es scheint, so bedeutenden Grösse des ükerewe-See's ist es sehr fraglich, ob sich ein ähnliches Verhalten wie bei Boden- oder Genfer-See wird nachweisen lassen. Man denke nur an die grossen nordamerikanischen See'n und den St. Lorenzslrom' 2?

Hingegen dürfte es für diejenigen, welche , durch- aus einen Überlauf haben' wollen 3, doch gerechtfer- tigt sein abzuwarten, bever sie den Kitangule als solchen ansehen*. Wohl ist dieser nach Speke der bedeutendste von ihm angesehene Zufluss des Nyanza; aber kennen wir denn s die Ostseite des See's? Während dem Kitangule blos ly^ Längengrade zur Stromentwickelung eingeräumt sind, stände einem

') Siehe Mittheilungen, 1864, p. 120.

^) Analoge Verliältiiisse biclcl auch das europäische Seitenstück des St. Lorenz, die Newa, ferner die Molala u. a. ■') Pelermann, Mittheilungen, 1864, p. 120. ^) Dieser Ansicht ist auch Peschel Ausland, 1863, p. 720. ') Siebe pag. 57.

Egii, die Entdeckung der Mlquellen. 93

oder mehrern östlichen Zuflüssen das 3 4fache dieses Abstandest zur Verfügung. Und diess bei einem Quellenrevier, das doch, soweit die Ermittelungen reichen, offenbar eher als die Mfumbiroberge fähig sein sollte, einen grossen Strom zu speisen. Ueber- dies hat in der Hauptsache der alte Ptolemäus sich so glänzend bewährt, dass wir wohl, so lang uns nicht Beweise vom Gegentheil nöthigen, auf der Hut sein dürfen, sie bestimmten Versicherungen entgegen^ die Nilquellen anderswohin als in eine Schneegebirgs- region zu verlegen.

Verzichten wir nun aber vor der Hand auf einen entschiedenen Quellfluss, der sich zum Kivira-Galuffi- strom etwa verhalte wie der Graubündner-Rhein zu demjenigen von Schaffhausen-Basel, so haben wir doch im Nyanzabassin das Kilquellenremer? Oder sollte der Kivira etwa nur ein Nebenfluss der wahren Nil- quellen sein , vielleicht der Tribular eines grössern Stroms, der in den Luta Nzige Lake mündet? Speke's Carte selbst führt diesem von den Mfumbirobergen her einen problematischen Fluss zu, und ist nun auch ihr zufolge dieser Zufluss kaum angethan, dem Kivira bedrohliche Concurrenz zu bereiten, so ist da- mit noch keineswegs entschieden, dass nicht am Süd- West-Ende oder am Westufer, vielleicht selbst am Nord-West-Ende, dem Ausfluss nahe, ein starker Quellstrom einmünden könne. Diese Unsicherheit wird erhöht angesichts jener ungeheuren Terra inco- gnita, welche sich von der angeblichen Kiviramün-

') Nämlich von ca. S. Br. bis mindestens zum Acquator. 2) Siehe pag. 21.

94 £?!■> <l>c Entdeckung der Nilquellen.

diing ' auf ca. 20 Läng^engrade nach Westen hin und von 3, 4, N. Br. his ca. 5' S. Br. erstreckt. In Einer Beziehung- freilich und man darf belonen: in einer Beziehung- von höchstem Beiaiig^ wird die Existenz eines solchen Lula Nzige Lake-Quell- Stroms sehr unwahrscheinlich: Die Wassermasse zu Galuffi müssle dann derjenigen von Karuma hedeulend über- legen sein, und diess ist nach Speke keineswegs der Fall 2. Auch ohne zu übersehen, dass dieser Be- hauptung keine Messung- zu Grunde liegt, und dass die Jahreszeiten das Aussehen der Flüsse wesentlich niodificiren, darf dieses Zeugniss uns hesliuimen, vorläufig- dem Kivira keinen andern Quellfluss über- zuordnen.

Auf solche Weise mag- man zu der Ansicht g-e- langen : Durch die Spcke'sche Expedition hat sich höchst wahrscheinlich der Galuffistrom mit dem Kivira in dem Sinne identificirl, dass der Nyanza das oberste Reservoir der JSil- quellen bildet^.

1) Ca. 49° 0. L. von Ferro.

2) Journal, p. 567 und p. 598.

3) So sayle schon Sir Rod. Mnrcliison in spinom ,Anni- versary address' von 1803 zuversirhliich : Speke jmd Granl Jtave determined ttiat Ifie great fresfi-waler luke Vicloriu I\'yanza is tlie re- servoir from wfiicfi tfie sncred Batir-cl-Abiad, or Wfiile Nile, mainly descends to Gondotcoro , and thetice by Efiartum inlo Eyypte^ (J R. G. S. 1863, p CLXXIV). Freilich ein J.ihr später spricht er (Pro- ceed. R. G. S. VIII, p. 249) vorsichtiger von einem .pruof thut a great slream ßoived out from its (des Nyanza) northeni exlremity, which Speke and Grant foltowed, and sliowed a I m o s t c o n c I n s i v e I y to be tlie White Nile . . . ." Und am 22. Mai 1865 rückte die ver- meinlliche Enläcbeidung in noch weitere Ferne (I'rocced. R. G. S. IX, p. 265).

Egli , die Entdeckung der Nilquellen. 95

In wiefern wir seitiier dem Ziele unserer Kennt- niss näher gerückt sind, wird sicii im folgenden zeigen. Wir haben dabei an den Schluss der Ex- pedition anzuknüpfen.

XVI. SCHLUSS.

Es war am 3. December 1862, bei Sonnenunter- gang — so berichtet der Reisende als wir Fa- loro erblickten. Unsere Leute 2, so glücklich wie wir selbst, baten um die Erlaubniss zu schiessen und die , Türken' für unsern Empfang vorzubereiten 3. Krach, bang! machten die Flinten, und gleich nach- her krach, bang hallte es aus dem Lager der Nörd- lichen. Wie mit einem Bienenschwarm war jede

*) Speke, Journal, p. 578.

2) Von den 76 Znnzibarleulen, die man an der Küste und den 22 Wanyamuesi, die man im Innern des Conlinenis enj;aj;irt hatte, waren in Aegyplen nocii 18 Mann übrig (bezüglich der Hotten- totten veri^l. p. 53, Note 3); die übrigen waren grossenlheils de- sertirt, zum Theil auch weggejagt, entlassen, umgekommen elc. Die Getreuen nennt Speke , seine Kinder'. Er Hess sie in Cairo zusammen pholograpbiieti {Journal, p. 610) und in die öffentlichen Concerle, Menagerieen etc. führen. Drei jener Photographieen erhielt der Anführer der Heimkehrenden, als Erkennungszeichen vorzu- weisen bei den britischen Consuln zu Suez, Aden und Zanzibar. Dann erhielten sie einen dreijährigen Sold, eine Anweisung, dass ihnen in Zanzibar ein grosser freenians garden gekauft werde, und dass jeder auf seine Heirat 10 Dollar Braulgeld empfan;;en solle. Dazu halten sie freie üeberfahrt nach Suez, Aden, den Seychellea und Zanzibar.

3) Mit dem Namen , Türken' bezeichnet man am obern Nil das jLewaffnele Gesindel', welches im Dienste der Eifenbeinhändler steht.

96 ^gli . <lie Entdeckung der Nilquellen.

Anhöhe mit Leuten bedeckt. Unsere Herzen klopften in freudiger Erregung-, die nur denen bekannt ist, welche, lange unter Barbaren festgehalten, wieder zu civilisirlen Leuten kommen und mit alten Freunden sich vereinigen. Jede Minute wuchs die Erregung. Wir saiien drei grosse rothe Flaggen einer militäri- schen Procession vorang-ehen, welche unter trommeln und pfeifen aus dem Lager sich herausbewegte. Ich machte Halt und Hess sie näher kommen. Da befahl auch ein ganz schwarzer Mann , Mahamed , völlig wie ein ägyptischer Regimentsoberst und mit ge- krümmtem Schwert, seinem Regiment zu halten. Ich suchte mich seinem stürmischen Willkomm zu erwehren und fragte ihn, wer sein Herr sei?

Petrik.

Und wo ist Pethericki jetzt?

Oh, er wird kommen.

Warum habt ihr nicht englische Farben?

Die Farben sind Debono's2.

Wer ist Debono^?

Derselbe wie Petrik. Doch kommt nur in mein Lager und lasst uns dort ausreden.

Mit diesen Worten befahl er seinem Regiment einer Gesindelmischung von Nubiern, Aegyplern und Sclaven aller Sorten rechtsum, und unter

1) Siehe pag. 40.

2) Siehe pag. 47.

3) Diese Frage ist auffaliend im Munde des Nilreisenden. Vergl. pag. 47, Nole 3 und p. 57, Note 1 (Miani) und die noch weit auffaliendere Stelle in Proceedings R. G. S. V, pag. 16, Zeile 1 und 2.

Egli , die Entdeckung der Nilquellen. 97

beständigem trommeln und pfeifen, Gewehr präsen- tiren und schiessen, führte er uns in die Hütten des Dorfes, das ganz aussah wie diejenigen der Einge- bornen. Dann setzte uns Mahamed auf Betten, be- fahl seinen Weibern i , sich uns knielings zu nähern und Cafe aufzutragen, während andere Pombe (!) brachten und ein Diner zubereiteten.

Es ergab sich, dass Mahamed der Agent Debono's war. Er sollte auf Speke warten und unterdessen Elfenbein kaufen 2.

Als die Reisenden nach Gondokoro kamen, zeigte

*) Die , Türken' der Station waren alle verheiratet mit Lan- destöcblern, die sie in Zeuge und Perlen kleideten. Sie hatten viele Kinder und Aussicht auf mehr. Die Heiraten sind gewöhn- lich nur vorübergehende, da die Weiber, wenn die , Türken' nach Gondokoro abreisen, wieder in das elterliche Haus zurückkehren.

2) Auch hier hatten die Gewaltthätigkeiten der Elfenbeinhänd- 1er (pag. 42) schon begonnen. Jeden Tag sah man die Madi (pag. 63) mit aller Habe nach entlegenen Gegenden auswandern. Am 31. December 1862 kehrte Mahamed mit seiner , siegreichen Armee' zurück, reich an Elfenbein, auch 5 Sclavenmädchen und 30 Stück Vieh eintreibend. Diejenigen Eingebornen, welche auf den Raub- zügen verschont werden, bringen nachher Elfenbein als Geschenk. Als Speke nach Pangoro kam, flohen die Dörfler, weil sie die Seinen für , Türken' hielten {Journal, pp. 588 590). Mit dem ge- plünderten Vieh kaufen die , Türken' Elfenbein und zahlen damit auch die Träger durch das Bariland {Journal, p. 599). ,Der Handel am (obern) Nil', bestätigt Baker (siehe Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 1866, p. 195), , besteht nur in Viehdicbstal, Sclavenjagd und Mord'. Und anstatt dieser allgemein bestätigten Tbatsachen nennen die Annales des voyages, redigirt von dem be- rühmten Malte-Brun, 1866, I. p. 228 Gondokoro ,un Slablissement dans lequel on regoit les noirs qui imigrent , o^ Von veille ä leurs in- tir6ts et ou on les prot4ge contre les attaques de leurs ennemis'tü

XII. 1. 7

^g Egli, die Entdeckung der Nilqnellen.

sich, dass Petherick abwesend war. Er, der von der Londoner Geographischen Gesellschaft 1000 Pfd. St. erhallen und dafür sich verpflichtet hatte, im Novem- ber 1861 zwei wohlbewaffnete Boote mit genügendem Proviant in Gondokoro zu slationiren und , sofern Speke in genanntem Monat nicht dort eintreffe, ihm nach dem Nyanza hin entgegen zu gehen <, hatte keineswegs Wort gehalten. Sein Agent war auf Sclavenhandel ausgegangen, und er selbst verliess Chartum erst am 20. März 1862, begleitet von seiner Frau , von Dr. James Murie und dem Botaniker Dr. Brownell". Auf Umwegen langte er endlich am 20. Februar 1863, also fünf Tage nach der Expedition, in Gondokoro an 3.

*) Siehe Proceedings R. G. S. V, pp. 20 und 21, p. 40.

2) üulerwegs gestorben.

3) Proceedings R. G. S. VIII, p. 122. Auch diese Reise (vergl. pag. 40, Note 4) förderte unsere Kennlniss des obern Nilgebietes. Denn als Petherick auf dena Weissen Nil bis N. Br. vorgedrungen ■war (Juli 1862), mussle er sich nach Westen wenden. Er kam an den Jeji und weiter an den Rohlfluss, dann nach Süden und Süd- Osten, wobei der Jeji wieder zu überschreiten war, bis in die Breite von Gondokoro und endlich nach Osten, zur Vereinigung mit der Speke'schen Expedition. Beide Flüsse kommen aus der Gegend von i^ N. Br. Nach Petherick muss man also drei grosse, dem Haupistrom ziemlich parallel von Süden nach Norden fliessende, linkseilige Nebenflüsse des Bahr-el-Abiad unterscheiden und zwar von Osten nach Westen oder nach der Reihenfolge ihrer Gonfluenz aufgezählt, folgende :

a) Jeji, auch Ayi oder Amin im Unterlaufe, mündend unter 20'.

b) Rohl, auch Kado oder Yalo mündend unter 25'.

c) Djur, weiterhin Bahr el Ghazal genannt, mündend unter 20'.

Egii, die Entdeckung der Nilquellen. 99

Auch drei andere Hülfsexpeditionen, die von Char- tum aus den Weissen Nil hinauf «ehen wollten , er- reichten ihr Ziel nicht, nämlich diejenige der Madame Tinnei, von Miani^ und Lejean^. Dagegen war

^) Eine reiche Holländerin, begleitet von ihrer Tochter Alexine und ihrer Schwester, der Baronesse Van Capellen, balle für 25000 Frs. das Dampfbool Halim Pascha's, des eliomajigen Gouverneurs in Charlum und Bruders des Vicekönigs, gemielhet (vergl. pag. 47 , Note 4) und war damit im Juni 18(52 nach Gon- dolioro gefahren und wegen Krankheil und andern Hindernissen wieder nach Charlum zurückgekehrt (19. November 1862). Siehe Proceed. R G S. VII, p. 78 oder ausfülirlicher in ,Lady Travellers on the White Nile'. Die drei Damen hatten auch Belenia (p. 40) besucht und 5 Slumlen oberhalb Gondokoro den Strom zu seicht gefunden. Am 25. Januar 18C3 fuhren sie, von Heuglin und Steudner begleitet, mit einem Dampfer und vier andern Schiffen und mit einem Gefolge von gegen 200 Personen wieder von Charlum flussanf, zunächst auf dem IJal'.r el Ghazal bis zum See Rek, um von hier aus zu Lande to unhnown countries vorzudringen. Diese Reise ist durch den Tod Dr. Stoudner's allgemeiner be- kannt geworden (f in Wau, einem Dschurdorfe, 10. April 1863).

2) Er halle schon 1860 vom Vicekönig von Aegyplen die Mllel zu einer neuen Reise (pag. 47) erlangt. Siehe Fe t ermann, Mit- theilungen, 1861, p. 119 Woran die Ausführung gesclieilert , ist uns unbekannt. Hängt dieses Projpcl etwa mil demjenigen zu- sammen, das er nach Speke's Rückkehr noch zu realisiren hoffte? und zu wehhem der Vicekönig nicht .die Mittel", aber unter Vor- behalt einer Betheiligung Oeslerreichs einen Beilrag zugesagt hatte, Im Onseivalore Triestino vom 5. und 17. August 1863 so meldet Pelermann, 1863, p. 338 kündigte er an, dass er eine neue Reise nach dem obern Nil antrete. Er hatte die Hoffnung, dass ihm die österreichische Regierung dazu behülflich sei und nament- lich zwei Offlciere mitgebe, welche die astronomischen Bestim- mungen zu besorgen hätten. In der Thal war Scitt.'ns des Mini- steriums eine Subvention bei dem Reichsralhe boanlragl. Da ver- weigerte das Abgeordnetenhaus den Credit, unter anderm durch

100 Elgli, die Entdeckung der Xilquellon.

Sam. Baker 1 getreulich seinem Freunde entg-egen gekommen 2. Er liatle drei Schiffe l)ei sich und eine ganze Ausrüstung nut Bewaffneten , mit 29 Last- thieren^, mit Perlen, Messingdraht und allem Bedarf für eine grosse Reise'». So war er im Begriffe, dem Nyanza zuzusteuern, Speke suchend in der Hoff- nung, wie er spassend hinzu setzte 5, die Expedition

den Umstand bewogen, dass wie der Berichterstatter, Prof. Herbst, referirte die k. k. Geographische Gesellschaft zu Wien sich entschieden gegen den Vorschlags ausgesprochen habe. iNach- träglich sleUle sich freilich heraus, dass dieses Gutachten, immer- hin im Namen der Gesellschaft, nur von deren Ausschuss abge- geben worden war. Vert;!. Pelerraann's Mitlheiluhgen, 1864, pp. 81—83 und Ausland, 1864, p. 190.

3) Lejean (pig. 41, Nolo 2 und 4) woIUe, unterstützt von Na- poleon lil , von Chartuio aus am Nil vordringen und stiess hiebei wegen der Erl>ilterung der Negerslämme auf so starke Hindernisse, dass er über die Route lange Zeit hin und her schwankte; er meinte bald westlich, bald östlich vom Nillhal gegen den Aequator gelangen zu können. Gej^en Schluss des J.ihres 1860 endlich wollte er auf seiner Barke La Bretagne den Weissen Nil hinaufgehen (Pe- termann, 1861, pag. 119). In Gondokoro augokoraraen und schon im Begriffe, sich Dr. Peney anzuschliessen, verschlimmerte sich das Fieber, welches er sich auf der Heise n.ich Kordofan geholt, in dem Grade, dass er umkehren niussle {ib. 1861, p 317). Er wandte sich nach dem Bahr-el-Ghazal und wurde später französi- scher Viceconsul in .\bessiiiien {ib. 1863, p. 336).

*) Ein englischer Civilingenieur, berühmt durch seine Elephan- tenjagden auf Cejlon und Erhauer der Eisenbahn Czernawoda- Kuslendje. Er hatte 1862 einige Monate in der Atbaragegend mit Jagen zugebracht, l'roceed. It. G S. Vil, p. 21.

2) In Charlum abgegangen am 18 December 1862.

3) Nämlich Pferden, Eseln und Kameelen.

^) Alles wie Baron Von der Decken auf eigene Kosten. 5) Journal, p. 601.

Egii, die Entdeckung der Nilquellen. 101

irg^endwo unter dem Aequator In einer heillosen Klemme zu finden, damit er das Vergnügen habe, sie zu erlösen.

Während nun die Speke'sche Expedition Aussah ging, verharrte Baker hei seinem Entschluss, die Nyanzaregion zu besuchen und dadurch zur Ausfül- lung einer wesentlichen Lücke in der neuen Ent- deckung das Seinige beizutragen. Nach Ueherwin- dung vieler Schwierigkeiten i gelang es ihm, den Karumafail und M'ruli, Kamrasi's Residenz, zu er- reichen 2. Durch einen Abstecher nach Westen ^ wurde festgestellt:

•) Siehe Baker's The Albert- Ntjanza etc. 1866 oder Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 1866, pp. 193 (f. In Be- gleitung seiner heldennjüliiigen Frau nsussie er von Gondoitoro ■weit nach Osten durch Liria in das schöne Land der Latuka reisen, bevor er über Obbo südlich zum Asua und Kivira vordringen konnte. Alle Transporllhiere waren uinu^okonimen, die Führer deserlirt, die Vorräihe an Lebensmilleln , Kleidern und Chinin ausgegangen und die Reisenden f.ist fortwährend Oeberkrank. Den Alabbi nennt Baker um seiner Permanenz willen einen wichti;;en Zufluss des Asua, während dieser selbst (9. Januar 1864) fast trocken durch sein felsiges Bell lief derselbe Fluss, der zur Regenzeil einen solchen Wassersch\^all bringt, dass er bei dem starken Gefäll in Booten nicht traversirt werden kann!

2) Da kurz vorher Debono's Leule nach üngoro gekommen waren und viele Leute gelödlel oder geraubt halten, so wurde Baker, dem vermeintlichen , Türken', ein schlimmer Empfang. Erst als eine Abordnung königlicher Beamten durch Untersuchung conslatirt halle, dass er Speke's Urnder sei , von , demselben Vater und der- selben Mutler' (indem er j.i einen ganz <;leicben Bart habe), Gngeu die Dinge an, zum bessern sich zu wenden. Uebrigens benahm sich auch diessnial Kamrasi als derselbe feige Filz wie früher.

3) Zu Lande erreichte Baker den Luta Nzige Lake bei dem

102 Egii, die Entdeckung der Nilquellen.

a) dass der Strom unterhalb dem Karuma eine Reihe mächtiger Stromschnellen und dann einen grossarligen 120' hohen Wasserfall bildet',

b) dass derselbe 25 Miles weiter abwärts und zwar unter 16' N. Br. in einen grossen See mündet,

c) dass dieser See wirklich der Luta Nzige Lake^ ist und ungefähr die ihm von Speke gegebene Lage hat.

Baker nannte die von ihm bereiste Flussstrecke Somersetßuss ^ und den grossen Cataract derselben Mure hison f all '^. An der Mündung des Somersetflusses sah Baker, gerade nach Norden hin, wie, in einer Entfernung von 15 20 Miles, der Strom dem See durch ein 4—5 Miles breites Thal entfliesst. Bei Miani's Baum war ihm vergönnt, die Flussstrecke 9 (deutsche) Meilen weit aufwärts mit dem Blicke zu verfolgen. Da nun das ganze Slromstück von Luta Nzige Lake bis Galufl'i 15 (deutsche) Meilen misst, so ist nur ein wenige Meilen langes Stück des Flusses bis jetzt ungesehen geblieben. Mit Zuver- lässigkeit darf man also behaupten, dass der Kivira den Luta Nzige Lake passirt und nach Galuffi fliesst.

üferort Vacovia (l° 14' N. Br.); dann fuhr er in Ganoes nördlich der Küste entlang und kam nach 13 Tagen an die Mündung des Kivira (2** 16' N. Br.). Dort liegt auf einer Uferterrasse, 250' über dem See , Magungo und war das Wasser nur noch 16 20 Miles breit. Von hier fuhren die Reisenden flussaufwärts bis zu dem grossen Wasserfall und folgten dann seinem Laufe zu Lande.

*) Wie schon Speke sagt, dass unterhalb Karuma noch an- dere kleinere , Falls' und in Gehörweile ein sehr grosser Fall sein soll {Journal, p. 567).

') Nach Kamrasi's Correclur sollte er JM^wuta Nzige heissen.

3) Siehe pag. 88, Note 3.

•) Siehe pag. 88, Note 1.

Egli, die Entdeckung der Nilquellen. |03

Im übrigen erfuhren unsere Reisenden, dass der See mindestens 65 deutsche geographische Meilen lang und bis 15 breit sei, dass er bis zur Polhöhe von Karagwe reiche, um dort (zwischen 1 und S. Br. !) mit unbekannter Ausdehnung (!) nach Westen umzuwenden, und dass er jährlich um ca. 4' an- schwelle von dem zehnmonatlichen Regen seines Gebiets 1. Am östlichen Ufer werde viel Salz ge- wonnen — der einzige Handelsartikel der Anwohner 2. Der See liegt 27*20' (engl.) über Meer und ist von steilen Granit- und Gneiswänden eingeschlossen, die an der Ostseite zu 12 150Ü', an der westlichen bis zu 7000' sich erheben-^. Nach Nord-Westen hin er- weitert er sich zu einer Bucht, deren Ende nicht abzusehen war; sie ist von undurchdringlichem Bin- senwuchs eingefasst und scheint ganz das Aussehen eines Delta zu haben (sie!). Sollte wohl in diese ein grosser Fluss einmünden? Oder in der Nähe der obern Extremität des See's? Diese Fragen konnte Baker nicht beantworten; ausser dem Somersetfluss (== Kivira) hat er keine grossen Zuflüsse gesehen*.

*) Sofern diese bloss die Intensität derjenigen des Nyanza- beckens haben (pag. 65), ständen die beiden See'nreviere unter ähnlichen Niederschlags Verhältnissen.

2) Früher hätten Rumanika's Waarenboote den See befahren, Elfenbein gegen Kanri und Kupferringe von Zanzibar einzutauschen, und mit ihnen seien arabische Eaufleute gekommen. Seitdem in einem Streit einige Araber getödtet worden, seien die fremden Handelsleute ausgeblieben.

3) Wahrscheinlich ist die letztere Höhe als absolute zu nehmen. ■*) Mit Ausnahme zweier grosser Wasserfälle, welche, von den

hoben Gebirgen des Westufers herabstürzend, durch das Fernrohr zu erkennen waren.

104 ^S^i, die Entdeckung der Nilquellen.

In dieser Beziehung ist also das orosse Problem keineswegs seiner Lösung näher gekommen; im Gegentheil, die nach dem unbekannten fernen Westen gerichteten Ausbuchtungen des See's an den beiden Extremitäten wecken unwillkürlich die Ahnung, es könnten uns noch grosse Dinge von dem geheim- nissvollen Strom verborgen sein.

Doch für die Aufstellung und Verfolgung von Hypothesen in dieser Richtung fehlen alle weitern Anhaltspunkte. Vielleicht zum Glück für den End- entscheid ; denn in der Geschichte ,der Entdeckung der Nilquellen' erwiesen sich die hypothetischen An- sichten für den Fortschritt mindestens so oft hinder- lich wie förderlich. Es gibt Kritiker und zwar sehr competentei die im Eifer selbst den Tanga- nyikn zum obersten Bassin machen und in den Luta Nzige Lake ausmünden lassen. Abgesehen davon, dass in Zeiten der Rathlosigkeit kühne Hypothesen immer etwas bestechendes haben, würde so mit Einem Schlag nicht nur dem ptolemäischen Ostsee ein palus occidentalis2 zur Seite treten, sondern auch das gemeinsame Reservoir beider, welches die Araber als Cura-See unter den Aequator versetzten, mit dem Namen Luta Nzige oder M'wula Nzige Lake vor unserm Auge stehen.

Um zu diesem hypothetischen Schlüsse zu kom-

') Vor allen Burton, der Entdecker des Tanganyika und da- maliger Chef des spätem Nyanzaentdeckers (pag. 50). Siehe Pro- ceed. R. G. S. IX, pp. 6—8.

2) Und zwar in annähernd richtigerer Lage, nämlich 3 S. Br. Vergl. pag. 21.

Egii, die Entdeckung der Nilquellen. 105

men, müsslen die hypsometrischen Verhältnisse des Tanganyika und des Luta Nzige Lake geradezu um- gekehrt werden. Burton selbst bestimmte thermo- hypsometrisch die Seehöhe des erstem zu 1844' engi.i; der Luta Nzige Lake liegt 2720' üb. M.2. Wie kann da, sofern die Bestimmungen correct, der Tanganyikaabfluss in den Luta Nzige Lake münden? Burton nennt zwar nachträglich und Gallon be- stätigt es 3 - das Instrument, dessen er sich bedient, ,a most imperfect one'] allein was müsste man von einem Entdecker denken, der so unsichere Angaben wissentlich als zuverlässig ausgibt und nach sieben Jahren erst, wenn er sich in einen leidenschaftlichen Streit verwickelt, zugibt, die Zahl von 1844' könne um mindestens lüOO' zu niedrig sein!?

Es widerstrebt all' unserm Zutrauen auf die Sendlinge der R. G. S., an derartige Täuschungen man kann nicht sagen: Irrthümer zu glauben. Wir lassen also, so weit von den Quellgebieten des Nil die Rede ist, den Tanganyika ausser Betracht und halten einstweilen noch fest an der Annahme, dass wir in dem Nyanzabecken das oberste Reservoir der Nilquellen haben.

') Siehe Proceed. R. G. S. IX , p. 7 (Band XXIX des J. R. G.

S. , cnthallend: ,The Lake Regions of the Central Equatorial Africa' ist uns leider gegenwärtig nicht mehr bei Händen).

2) Siehe pag. 103.

3) Proceed. R. G. S. IX, pp. 7 und 10.

Notizen.

Ausziig aus dem Woclienrapporte des Telegraphen- Bureau Ziiriehi »Am 25. April 1867, um 5 Uhr Abends Luft- elektrizilät auf der Linie Zürich-Einsiedeln-Scliwyz-Gersnu. Die Nadel ging bis 22 Grade rechts, darauf langsam zurück, dann bis auf 24 Grade links, darauf wieder zurück bis aut 2 bis 4 Grade links. Da war es 5 Uhr 30 Minuten. Vorher war auf der Linie Zürich-Hichlerschw yl-Glarus (sie laufen zwischen Zürich und Richterschwyl neben einander) nichts von Luftströmung bemerkbar. Um 5 Uhr 30 Minuten zeigte sich auf der Boussole eine Ablenkung von der nämlichen Grösse und Richtung wie auf der Schwyzerlit)ie. Um 5 Uhr 35 Minuten war die Ablenkung auf beiden Roussolen '/i Grad rechts. Unser Batteriestrom (Zink mit Erde verbunden) lenkt beide Nadeln rechts ab. Es war ein Gewitter in jener Gegend.«

[J. Hohl.]

IVotizen zur Schweiz. Kultiirg^eschichte. (Fortsetzung.)

152) Ueber den schon früher (IL 243 und Noiiz 77) kurz besprochenen Zürcher-Geogra[)hen Heinrich Keller ist nach- träglich noch auf das ausführliche, sehr interessante und iheils mit einem von Esslinger gi^zeichneten und von Meyer gesto- chenen guten Porträte, theils mit einer gelungenen Nachbildung einer der Keller'schen Aufnahmen gezierte Lebensbild zu ver- weisen, welches die Zürcherische Künstlergesellschaft auf Neu- jahr 1865 von ihm herausgab. Es ist darin sowohl Kellers Leidensgeschichte als Knabe, seiner ersten Versuche im Zeichnen

Notizen. 107

von Landschaften und Karlen, seiner Wanderungen über Berg und Thal, auf denen die ersten seiner zahlreichen und rnusler- gUltigen, von ihm mit dem passenden Namen Panorama 's versehenen, und überhaupt so zu sagen von ihm erfundenen Rundsichlen entstanden, etc. ausführlich und zum Theile nach eigenen Aufzeichnungen Kellers gedacht, als dann auch seiner spätem, für die Kenntniss unsers Vaterlandes, und die Erleichterung und Belehrung der sich immermehrenden Freunde unserer Naturschönheiten so bedeutenden spatern Arbeilen, welcfie sich in den so sehr gelungenen und bis jetzt, trotz den ausserordentlich vermehrten Hulfsmitteln, noch kaum über- trofTenen und Keller's Namen eine seltene Pof)ularität ver- schaffenden Schweizer-Reisekarlen gegipfelt haben, deren erste 1813 von Scheurmann (s. IV 330) in Aarau gestochen wurde.

153) Die von dem unermüdlichen und nach allen Bich- tungen um die Schweizer, nalurforsch. Gesellschaft hochver- dienten Quästor J. Siegfried von Zürich herausgegebene und mit einem gelungenen Bilde von Gosse gezierte »Geschichte der Schweizerischen nalurforschenden Gesellschaft zur Erinne- rung an den Stiftungstag den 6. Oclober 1815 und zur Feier des fünfzigjährigen Jubiläums in Genf am 21., 22. und 23. Augst- monal 1865. Zürich 1865 (98 S.) in enthält zwar, wie der geehrte Verfasser selbst in freundlichster Weise erwähnt, gar Vieles, das ich in meinen Biographien bei Wyttenbach, Gosse, etc. erzählte, aber auch zahlreiche mir damals theils unbe- kannte, theils über den mir gesetzten Rahmen hinausreichende, theils die neueste Zeit betrelFende Notizen, welche ein späterer neuer Bearbeiter unserer Gelehrtengeschichte mit Dank und Nutzen beralhen wird.

154) Als ich die verschiedenen Cykeln meiner Biographien anordnete, dachte ich mehrmals daran, in denselben auch dem nach verschiedenen Richtungen hochverdienten Vadian ein kleines Denkmal zu errichten; aber während für andere Männer da und dort sich mir reiche Fundgruben öfTiielen, blieb Vadians Platz in meiner Sammlung zufällig so leer, dass

108 Notizen.

ich weder wagen durfte mit dem Wenigen hervorzutreten, noch den iVlulh erhielt, nach Mehrerera zu suchen, und mich schliess- lich darauf beschränkte, nur beiläufig (IV 2, Notiz 53, etc.) einige Male auf ihn hinzuweisen. Es freut mich um so mehr, dass der um die Schulen VVinlerthur's so verdiente Rector Georg Geilfus mit s. Schrift »Joachim von Wall, genannt Va- diaiius, als geographischer Schriflsleller , Winlerlhur 1865 (29 S ) in seither diese Lücke nicht nur wesentlich ausge- fülll, sondern auch noch eine ziemlich reiche Literatur zu wei- lerer Verfolgung der Arbeilen dieses Mannes beigefugt hat.

155) Die »Berichte über die Thäligkeit der St. Gallischen naturwissenschaftlichen Gesellschaft während der Vereinsjahre 1863—1866. Red. von Prof. Dr. Wartmann« enthalten neben viden werlhvollen naturwissenschaftlichen Abhandlungen auch einen Nekrolog des um die schweizerische Naturgeschichte und Meteorologie, sowie auch ganz speziell um die naturfor- scheiiden Gesellschaften St. Gallens und der Schweiz sehr verdienten Apotheker Daniel Meyer, am 11. Januar 1778 zu Sl. Gallen geboren, und am 22. Januar 1864 eben daselbst verstorben. (Vergl. Nr. 138.)

156) Die in meiner Biographie von Jakob Rosius (I, 119 132) auf Pag. 131 als mir nicht in Sicht gekommene Schrift verzeichnete Arbeit »vom Visirstab« isl mir kürzlich in die Hände gefallen. Sie führt den Titel »Ein newer kurtzer Bericht von Zubereytung eines Visierslabs auss einem ge- eychten Weinfassz, und wie derselbig zu gebrauchen. Auss dem Ganone Trigoriomelrico hergenommen. Von Jacobo Rosio Biberac. Liebhabern der malhemalischen Künste, Basel 1627 (15 S.) in 4«, und ist »Biel die II Aprilis, A. 0. R. 1627« dalirl. Ein im Aidiange erwähntes Manuscripl über Sonnen- uhren, zu dem er nur noch wegen der vielen Figuren keinen Verleger gefunden habe, scheint nie in Druck gekommen zu sein. [ß. Wolf.]

Astronomische Mittheilunsren

,von Dr. Rudolf Wolf.

XXIII. Vortrag über Wilhelm Herschel, am 28. Februar 1867 vor gemischtem Publikum gehalten; Beobachtungen der Sonnenflecken im Jahre 1866 und Berechnung der Relativzahlen und Variationen dieses Jahres: Ueber- sicht des Fleckenstandes der Sonne in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und neue Bestimmung der betreffenden Epochen; Aufstellung einer Varia- tionsformel für Berlin ; Vergleichung der Häufigkeit der Kometen mit der Sonnenflecken-Periode; Beob- achtung der partialen Sonnenfinsterniss am 5, März 1867; Fortsetzung der Sonnenfleckenliteratur.

„Wilhelm Herschel wurde am 15. Nov. 1738 zu Hannover geboren. Ein älterer Bruder von ihm hiess Jakob, der Vater Isaak, der Grossvater Abra- ham i. Abraham Herschel war Pächter in der Nähe von Leipzig und wünschte, dass ihm sein Isaak als solcher nachfolge ; Letzterer zog aber vor, Musiker zu werden, siedelte sich in Hannover an, heirathete Anna Ilse Moritzen und erhielt von ihr ausser den genannten zwei Söhnen noch zwei Söhne und vier

') Nach Ärago (Oeuvres III. 382) hiess der Vater Jakob, der Grossvater Isaak, der (Jrgrossvater Abraham. Ich folge je- doch der Angabe John Herschers in dem Nekrologe seiner Tante Caroline fA. N. 629), nach welcher Isaak der Vater war.

XII. 2. 8

110 Wolf, astronomische Mittbeilungen.

Töchter.' Isaak war arm, wie es Musiker meistens sind, konnte somit wenig auf die Erziehung: seiner Kinder verwenden, und auch sein Wilhelm erhielt, trotz ungewöhnlicher Wissbegierde und Fähigkeit, nur dürf- tigen Schulunterricht, wurde dagegen, wie alle Söhne, ein tüchtiger Musiker2 und trat schon im 14. Jahre in eine Regimentsmusik ein. Im Jahre 1757 begleitete Wilhelm als Hautboist mit Bruder Jakob Truppen nach England, und entschloss sich dort zu bleiben. Im An- fange hatte er sehr magere Zeiten ; dann wurde er Musikinstruktor bei einem englischen Regiment, suchte sich später einige Zeit in Leeds als Musiklehrer diirch- zubringen, wurde dann Organist in Halifax, und konnte endlich 1766 diese Stelle mit einer bessern in dem Badeort Bath vertauschen, wo er nun eine Reihe von Jahren als Organist und Mitglied der Kapelle lebte, und nebenbei noch Privalstunden gab. Sobald seine Existenz auf solche Weise gesichert war, wandte er, statt Vergnügungen nachzulaufen, alle freie Zeit darauf, sich weiter auszubilden : Deutsch, Französisch und Enslisch waren ihm damals schon ziemlich be-

1) Nach Arago (1. c.) halte Vater Herschel vier Töchter und sechs Söhne, von denen Wilhelm der dritte war. Ich folge der Angabe eines unmittelbar nach Herschel's Tod von befreundeter Hand in das Phil. Mag. eingerückten Nekrologes, von dem mir John Herschel gütigst eine Copie mittheilte. Fonrier hielt in seinem Eloge historique de Sir William Herschel (Mem. de l'Acad. des Sciences 1823) das Mittel, indem er Herschel als zweiten von fünf Söhnen aufführt.

2) Herscbei soll ein ganz ausgezeichneter Virtuos und nament- lich auf der Orgel ein Meisler gewesen sein; auch als Gomponist fand er Anerkennung.

Wolf, astronomische Mittheilungen. Hl

kaiint; er versuchte nun ohne Lehrer, mit blosser HiiH'e von Wörterbuch und Grammatik, sich auch noch Lateinisch und Italienisch anzueignen; dann begann er die Theorie der Musik zu studiren, wurde dadurch auf die Mathematik, deren Elemente er sich schon früher anjdeeignet hatte, sowie auf die Physik geführt, blieb auch der Astronomie nicht fremd ', und machte dabei nach allen diesen Richtungen nicht etwa nur ober- fiachliche, sondern ganz gründliche Studien, Be- weis dafür, dass er sich 1780 mit Erfolg daran wa- gen konnte, eine Preisfrage aus der Schwingungs- lehre der Saiten zu bearbeiten. 2

„Wahrend Herschel so studirte, hatte er einmal Gelegenheit bei einem Bekannten durch ein zweifüs- siiies Spiegelteleskop- den Sternhimmel zu betrachten. Dieser Anblick machte einen grossen Eindruck auf ihn, und es war sofort sein sehnlichster Wunsch, ein ähnliches, wo möglich noch grösseres Instrument zu besitzen. Zu gutem Glücke katn aus London, wohin ei" dafür schreiben Hess, die Antwort, ein solches Teleskop komme so theuer zu stehen, dass ein armer Musiker es schwerlich bezahlen könnte; denn weit entfernt, hiedurch entmuthigi zu werden, entschloss sich [lerschel, selbst Studien und Proben über Spie-

^) Für die Theorie der Mnsik soU Herschel namcnllich Hob. SmiUi's »llarmonics er the piiilosophy of rausical souiids«, für die Asirohomie Jaiii. Ferguson's »Aslroiiomy, explaiiied upon Sir Isaac Ne^^lol^s priiiciples« l>eiui(zl Iwiboii.

2j Aul' HcMschel's optische, namcnUich auch die Keniilniss des Spekliums so ungemein fördernde Arbeilen kann liier nicht ein- gelrelen «erden. Ich verweise dalür auf die erwähnten Biogra- phien von Arago und Fourier.

112 Wolf, astronomische Mittbeilungen.

g^elmassen, ihr Schleifen und Pohren zu machen, und 1774 hatte er, allerdings erst nach zahlreichen miss- lung-enen Versuchen, die grosse Satisfaction, durch ein eigenhändig erstelltes fünffüssiges Teleskop Sa- turn und seinen Ring zu sehen, ja bald darauf war ein Siebenfüsser gelungen. Nun begannen die Be- obachtungen mit derselben Energie, ja Herschel soll sogar an schönen Abenden, wenn er im Concert oder Theater zu spielen halte, die Pausen benutzt haben, um denselben obzuliegen. Die ersten Früchte legte Herschel in zwei Abhandlungen über die Mond- berge und über den veränderlichen Stern Mira Ceti nieder, welche er 1780 der Royal Society einreichte ; aber noch wichtiger war sein im Jahr zuvor in Aus- führung gekommener Entschluss, eine consequenle Durchmusterung des Himmels auszuführen, um alles Bekannte zu sehen und allfällig Neues zu finden. Als er in Verfolgung dieses Planes im März 1781 das Sternbild der Zwillinge vornahm, fand er am 18. März einen ihm sofort etwas verdächtig vorkommenden Stern, und konnte noch am gleichen Abend consla- tiren, dass sein scheinbarer Durchmesser bei stärkerer Vergrösserung entsprechend zunehme, und dass er seine Stellung gegen die übrigen Sterne merklich ver- ändere : Es war also kein Fixstern, sondern ein Wan- delstern, — mulhmasslich ein Komet. Herschel machte natürlich seine Entdeckung sofort bekannt, damit auch Andere Positionsbestimmungen machen, und die Rech- ner darauf gestützt seine Bahn bestimmen können, und bald wiesen nun Lexell und Laplace nach, dass dieser Wandelstern keine parabolische, sondern eine Kreisbahn von grossem Durchmesser verfolge, also

Wolf, astronomische Mittheilungeii. WS

kein Komet, sondern ein oberer Pianet sei, für wel- chen sodann nacli Bode's Vorscfilai»^ der Name Ura- n u s o^ewälilt wurde. Man hat oft gesagt, Herschel habe Uranus zufällig gefunden, und damit das Ver- dienst seiner Entdeckung schmälern wollen. Ist das ein Zufall, wenn Einer bei systematischem Suchen etwas findet? Hätten Flamsteed und Lemonnier, welche Jahrzehnte vorher, wie man seither ganz genau nach- weisen konnte, Uranus wiederholt im Fernrohr hatten, ja als vermeintlichen Fixstern beobachteten, densel- ben gefunden, so könnte man zur Noth noch von Zu- fall sprechen, denn sie suchten nicht, aber eben weil sie nicht suchten, so fanden sie auch nicht. Ueberhaupt ist es gegenwärtig mit dem Zufalle schlecht bestellt; denn die Mathematiker und Naturforscher gehen ihm mit aller Macht zu Leibe, und gar manches Gebiet, das ihm in vorigen Jahrhunderten noch unter- than war, ist ihm in neuerer Zeit abgenommen wor- den, und zwar mehr als Eines durch unsern Herschel. Ja, wenn uns auch trotzdem gegenwärtig noch viele Erscheinungen und Begebenheiten unerklärlich sind, so fühlen wir doch immer mehr, dass diess nur mit Lücken in unserm Wissen zusammenhängt, dass auch sie einer gesetzmässigen Nothwendigkeit unterworfen sein müssen, dass es muthmasslich gar keinen Zu- fall gibt, und wenn dieser Glaube einst allgemein geworden sein wird, dann, aber dann erst darf man hoffen , die hässlichen Zwillingsbrüder Unglaube und Aberglaube von der Erde verschwinden, und eine dauernde Versöhnung zwischen Glauben und Wissen entstehen zu sehen.

„Die Entdeckung des Uranus machte grosses Auf-

[14 Wolf, astronomische Mitlheilungen.

sehen, und Herschel wurde durch dieseihe plöt/Jich berühmt J Um Ihnen diess begreiflich zu machen, muss ich Sie daran erinnern, dass man von den äl- testen Zeiten her die sieben Wandelsterne kannte, welche unsern Wochentagen die Namen gegeben ha- ben, — dass auch bei der Verdrängung des Ptole- mäischen Weltsystemes durch das Copernicanische diese Anzahl unverändert blieb, indem dadurch bloss Erde und Sonne ihre Rolle wechselten, dass die nach Erfindung- des Fernrohrs aufgefundenen Begleiter einzelner Planeten zu untergeordneter Natur erschie- nen, um sie den alten Wandelsternen beizuzählen, zumal sie das Sonnensystem in seinen alten Grenzen beliessen, und dass man dagegen nun nach Auf- findung des Uranus plötzlich gezwungen wurde, theils definitiv von jener Zahl sieben abzugehen, theils dem Sonnensysteme eine weit grössere Ausdehnung- als bisher zuzuschreiben. Sehr wesentlich war es, dass auch Georg III. von England sich ungemein für Herschel's Entdeckung interessirte, und sich den mit so g-rossem Erfolge debütirenden Astronomen vor- stellen Hess. Der bescheidene, aber muntere und mit- theilsame Mann machte einen selir günstigen Eindruck auf ihn, und treu seinem Grundsatze, dass es besser sei, Geld zur Förderung der Wissenschaften zu verwenden, als um Menschen todtschla-

^) Vor Entdeckung des Uranus war HerschePs Name ganz un- bekannt. So schrieb Bode noch im September 1781 (s. Astronom. Jahrb. für 1784), der Entdecker des neuen Wandelsternes werde bald Mertshel, bald Hertscbel, bald Herthel , bald Herrschen, bald Hernistell genannt, und frägl: »Wie ist nun eigentlich sein Name? Er soll von Geburt ein Deutscher sein.«

Wolf, astronomische Mittheilungen 115

gen zu lassen', setzte er ihtn einen schönen Ge- halt aus., so dass er seine Stelle in Bath aufgehen, und sich ausschliesslich seinen optischen und astro- nomischen Arheiten widmen konnte. Herschel zos;- sich nun nach Datchet und später nach Siough bei Windsor zurück, und nahm ausser der Schwester Caroline, welche ihm schon seit 1772 sein kleines Hauswesen besorgt hatte, auch noch seinen Bruder Alexander zur Hülfe zu sich. Alexander Herschel besass nicht unbedeutendes mechanisches Talent, und war so ganz geeignet, bei Oonstruclion der Teleskope mitzuhelfen, für welche mehrere hundert Spiegel von 7, 10, 20 und mehr Fuss Brennweite zur Ausw^ahl geschlilTen wurden 2, bis endlich in den Jahren 1785 bis 1789 mit Aufmunterung und Unterstützung des Königs das bekannte Riesenteleskop entstand, dessen Spiegel von nahe 41/2 Fuss OefFnung am einen Ende eines vierzigfüssigen eisernen Rohres etwas schief zur Axe eingesetzt war, um am andern Ende das Bild unmittelbar mit einer Loupe betrachten zu können, und eine so hohe Politur besass, um unter günstigen Umständen über 6000 fache lineare Vergrösserung zu ertragen. Trotz kunstvoller Aufstellung blieb jedoch natürlich der über 50 Centner wiegende Coloss etwas ungefügig, und auch der Spiegel verlor an der Luft

^) Georg III. (1738 1820) sprach diesen Grundsatz z. B. gegen Lalande aus, der ihm 1792 vorgestellt wurde. Gewiss ist, dass er und sein Nachfolger Georg IV. Herschel ausserordentlich ehrten, so z. B. 1816 zum Ritter des Hosenbandordens ernannten.

2) Alexander Herschel construirte auf Bestellung auch für An- dere Spiegelteleskope; so schrieb Wilhelm 1785 an Bode, dass sein Bruder für 100 Guineen gut aufgestellte Siebenfüsser liefere.

X16 Wolf, astronomische Mittbeilungen.

bald seine ursprüngliche Schönheit, so dass Herschel in der Regel zum Gebrauche seine bis auf Vergrös- serung 2000 gehenden Zwanzigfüsser vorzog, und seine meisten Entdeckungen, von denen wir sofort hören werden, mit diesen kleinern Instrumenten, da- gegen aber mit dem Fleisse machte, der ihn zur Con- struction des Vierzigfüssers geführt hatte. Herschel arbeitete überhaupt Tag und Nacht rastlos : War er am Tage mit dem 10 14 Stunden in Anspruch neh- menden Poliren eines Spiegels beschäftigt, so verliess er die Arbeit nicht einmal zum Essen, sondern Hess sich von seiner Schwester das Nölhigste verabreichen,

war Nachts der Himmel zum Beobachten günstig, so verliess er oft bis zum Einbrechen der Morgen- dämmerung sein Rohr nicht, während Caroline als Assistent an der Uhr sass, notirte und rechnete, ja einmal soll Herschel drei Tage und drei Nächte ununterbrochen fortgearbeitet, nachher freilich auch 26 Stunden lang continuirlich geschlafen haben. Den- noch blieb er rüstig bis in's höchste Alter, das er auf 84 Jahre brachte, indem er am 23. August 1822 starb,

ja hätte er die Gewohnheit angenommen , seine Abende in Soireen zuzubringen, so wäre er wahr- scheinlich früher eingeschlafen. Aber Caroline, eine zarte Dame, hat die solche häufige Nachtwachen aus- gehalten? — höre ich Sie fragen. Sie hat es in der That ein Bischen bunt getrieben, da sie nicht nur haushallete und assistirte, sondern noch, wie z. B. ihre acht Kometen -Entdeckungen und ihre von der Astronomical Society mit einer Gold-Medaille ausge- zeichneten Sternverzeichnisse beweisen , auf eigene Rechnung beobachtete und studirte, und sie ist

Wolf, astronomische Mittbeiluii^en. 117

auch wirklich wenig mehr als 5000 Wochen alt ge- worden.t Nach dem Tode Wiiheim's war sie nach Hannover, wo sie 1750 geboren worden war und ihr einzig noch lebender Bruder Johann Dietrich residirte, zurückgekehrt, und starb daselbst 1848. Sie blieb mun- ter und geistesfrisch bis in's höchste Alter, und soll nur 1846 höchst ärgerlich über die Entdeckung Nep- tun's geworden sein, welche ihr den Ruhm des un- vergesslichen Bruders zu schmälern schien.

„Dass Wilhelm Herschei bei seiner Energie, die von entsprechender Begabung begleitet war, Ausser- ordentliches leistete, brauche ich kaum zu sagen, und es würde auch die Zeit nicht hinreichen, Ihnen nur die Titel der zahlreichen Abhandlungen vorzulesen, in welchen er seine Beobachtungen und Speculationen der Royal Society vorlegte. Ich muss mich begnügen, Ihnen einige seiner wichtigsten Arbeilen kurz anzu-

') Caroline Herschei ist nicht die einzige Dame, welche sich um die Astronomie verdient machte: Ich erinnere an die Frauen Hevel und Kirch, welche sich einen nicht unbedeutenden Theil der Arbeiten ihrer Männer zu gut schreiben können, an Maria Cunilia, die Berechnerin zur Zeit sehr geschätzter astronomischer Tafeln, an die Marquise du Chatelet, die Ueberselzerin von Newton's Prinzipien, an Madame Lepaute, welche die Störungs- Bechnungen für den Halley'schen Kometen ausführte, an Wil- belmine Böttcher, spätere Hofräthin Witte, der man ein vorzüg- liches R lief des Mondes verdankt, an die Reinhard, Rümker, Sommervilie, Scarpeliini, Dudley, Matt, etc., die sich als Beobach- terinnen, Rechnerinnen, Schriftstellerinnen etc. wirkliche Verdienste um unsere Wissenschaft erwarben, und diesen wären noch zahl- reiche Namen von Töchtern, Schwestern und Frauen beizuHigen, ohne deren geräuschlose Mitwirkung sich die Leistungen manches Gelehrten ausserordentlich reducirt hätlen.

118 Wolf, astroDoniische Mittheilungen.

deuten, und eine Einzige, auf welche Sie in einem der ersten Vortraoe dieses Winters' hingewiesen wor- den sind, zum Schlüsse etwas eiiilässlicher zu behan- deln : Unser Planetensystem verdankt Herschel ausser Uranus und einigen Monden die genauere Kenntniss der Gestalt, x\xendrehnng und physischen Beschaffen- heit fast aller zugehörigen Körper; so ist es z. B. Herschel, der strenge n :;chwies, dass auf dem Pla- neten Mars Schnee lallt, und dass überhaupt dieser Planet so ähnliche Beschaffenheit mit der Erde hat, dass dort ganz gut Menschen leben könnten und viel- leicht auch leben. HerscheTs Studien über die Be- schalTenheit der Sonne habe ich Ihnen vor einigen Jahren einlässlich aus einander gesetzt 2, und seiner Ermillluiig ihrer fortschreitenden Bewei>ung- werde ich (,'iitsj, rechend dem vorhin Bemerkten zum Schlüsse gedenken. Dagegen darf ich hier nicht zu erwähnen vergessen, dass die genauere Kenntniss des Fixstern- himmels, die sog. Slellarastronomie, sogar erst von Herschel her dalirt: Ihnj verdankt man die jetzt schon wiederholt mit Erfolg angewandte Methode zur Be- stimmung der Fixsterndistanzen. Durch seine Ab- zahlungen der nach bestimmten Richtungen stehenden Sterne, seine sog. Aichungen, seine Ermittlung- ihrer relativen Helligkeit, und seine darauf gregrün-

^) üeber die Polarländer von Dr. Oswald Heer. Vortrag, ge- hallen den 6. Dezember 1866 auf dem Ralhhaus in Zürich. Zürich 1867 in 8.

') Die Sonne und ihre Flecken. Ein Vortrag vor gemischtem Publikum, gehallen am 10. Januar 1861 von Rudolf Wolf. Zär'uh 1861 in 8. (Auch in Nro. 12 der Slittheilurigen über die Sonnen- flecken abgedruckt.)

Wolf, aslionoiuische Mitlbeiluiigen ^"19

deten Studien über den Bau des Himmels, sind die Muthmassungen der Kant und Lambert über das zu- nächst durch die Milchstrasse gebildete Sternsystem, zu welchem wir gehören, zum Theil erwiesen, zum Theil rectificirt worden. Während man endlich vor Herschel nur wenige Dutzende von sog. Doppel- sternen, Sternhaufen und Nebelflecken kannte und nicht zu deuten wusste, hat er nicht nur fast ebenso viele Tau sende derselben aufgefunden, sondern ihrer Lage und Beschaffenheit nach durch Messung, Zeich- nung und Beschreibung förmlich catalogisirt, hat einzelne dieser Doppelsterne durch Nachweis ihrer Bewegung um den gemeinschaftlichen Schwerpunkt als physisch zusammengehörige Weltkörper, als Dop- pel-Sonnen, characterisirt , ja bereits die sog. Nebel in ähnlicher Weise in ferne Sterusysteme und werdende Welten abgetheilt, wie es die neuesten Forschungen mit Hülfe der Spektralapparate, über die sie kürzlich einlasslich unlerhalten v^'orden sind', zu thun zwingen.

„Als Herschel einmal so, es war im Jahr 1788, nach Doppelsternen und Nebeln suchte, ging es ihm, wie es schon oft Astronomen gegangen ist, er richtete sein Rohr so tief, dass es statt dem Himmel die Erde traf, und da fand er auch einen Doppelstern, der ihm so anuuilhig vorkam, dass er ihn nicht mehr los werden konnte. 2 Es war ein Irrlhum, aber ein

') Von Hrn. Prof. WisUcenus in sfinem am 7. Febr. gehaUenen Vortrage über »Spektralanalyse und Chemie der Himmelskörper«.

2) Wilhelm Herschel verheirathele sich nämUch 1788 mit Mary Baldwin (1750—1832), verwittwete Pitt, und hatte das seUene Glück,

120 Wolf, astronomische Mittheilungen.

r

heilsamer ; denn aus diesem Doppelsterne ging 1792 sein Sohn John Herschel hervor, dem die Astronomie ebenfalls unendlich viel verdankt, und der namentlich die Arbeiten, welche sein Vater am nördlichen Him- mel mit so grossem Erfolge gemacht hatte, während einem mehrjährigen Aufenthalt am Cap auch auf den südlichen Himmel ausdehnte. Dieser würdige Mann, der sich nun selbst wieder der astronomischen Er- folge seines Sohnes Alexander erfreut, war so freund- lich, mir für den heutigen Abend verschiedene Notizen mitzulheilen, und würde sich gewiss herzlich freuen, wenn er die ansehnliche Versammlung sehen könnte, welche hier heute der Erinnerung an den unvergess- lichen Vater eine Stunde widmet, eine Erinnerungs- feier, der allerdings das Eigenthümliche abgeht, wel- ches eine Familienfeier in der Neujahrsnacht ^ von 18B9 auf 1840 hatte, von der ich im Vorübergehen noch einige Worte sagen muss : Zu jener Zeit wurde nämlich das Rohr des Riesenleleskopes, dessen Spie- gel längst erblindet war, im Garten zu Slough auf einen steinernen Sockel niedergelegt, um als Monu- ment seines Verfertigers zu dienen. 2 Ehe es beid- seitig verschlossen wurde, stieg die ganze Familie in dasselbe, um ein Gedicht abzusingen, das John

trotz so später Verehelichung sich seiner Wahl noch lange Jahre zu erfreuen.

') »On New years Eve 1839 40«. nicht am l. Januar 1840 »ä midi precis«, wie Arago sagt.

^) Die sich in einigen Biographien Herschers findende Notiz, das Riesenteleskop sei nach seinem Tode von Lucian BonapHrte angekauft worden, ist falsch; das an Letztern verkaufte Instrument war ein Zebnfüsser von 24 Zoll Oeffnung.

Wolf, astronomische Mittheilungen. 121

Herschel auf diesen Anlass verfasst hatte , und das nach Minna Mädler's Uebersetzung' foigendermaassen lautete ;

»Wir sitzen im alten Tubus gereiht Und Schalten umzieh'n uns vergangener Zeit. Sein Requiem singen wir schallend und klar Indem uns verlässt und beerUsset ein Jahr.

»Wohl fünfzig Jahr trotzt' er der Sturme Gewalt, Nicht beugte der Nord seine hehre Gestalt, Nun liegt er gesunken, wo hoch er einst stand, Das suchende Auge zum Himmel gewandt.

»Die Wunder, die lebendem Blick nie gestrahlt, Sie waren hier einst in den Spiegel gemalt. Nicht deutet, nicht zählt sie der ird'sche Verstand, Sie sind nur allein ihrem Schöpfer bekannt.

»Hier wacht' unser Vater in eisiger Nacht, Hier hat ihm vorweUIicher Lichtstrahl gelacht,

^) Vgl. A. N. 405, wo auch die Originalverse mitgetheilt wer- den, welche wie folgt lauteten:

„In the old Telescope's tube we sit,

and the shades of the past around us (lit.

His Requiem sing we with shout and din,

while Ihe old year goes out, and the new coraes in.

»Füll üfty years did he laiigh at the storm,

and the blast could not shake his luajeslic form.

Now prone he lies, where he once stood high

and searched Ihe deep hcaven with his broad bright eye.

»There are wonders no living sight has seen, which with in Ihis hollow have pictured been ; Which uiortal record can never recall and are known lo liira only, who made them all.

»Here watched our Father the wintry night

and his gaze has been ted with pre-Adamite light;

122 Wolf, astronomische Miüheilungen.

Hier half ihm die Schvveslerh'eb treulich und mild. Sie zogen vereint durch das Sternengefild.

»Dann legi er ihn nieder, so sanft er gekonnt, Dass seine Kraft er im Sternenlichl sonnt. Hier liegt er, ein harter Bissen, geweiht Dem eisenverzehrenden Zahne der Zeit,

»Sie wird ihn verzehren, ihr fällt er zum Raub und sein Eisen und Erz wird Host sein und Staub. Doch ob auch Jahrhunderte rauschend vergehn , Sein Ruhm wird doch in den Trümmern beslehn.«

„Es ist gewiss Allen von Ihnen bekannt, wie man die Lage eines Ortes auf der Erde durch geographische Breite und Länge in Beziehung auf Equalor und ersten Meridian bestimmt, und ganz in entsprechender Weise wird die Lage eines Sternes an der scheinbaren Him- nielskugel durch Breite und Länge in Beziehung auf Ekliptik und Frühlingspunkt gegeben. Während, aber die geographische Länge eines Ortes zu allen Zeiten gleich gross gefunden wird, so sind dagegen die Län- gen der Sterne, welche in entgegengesetztem Sinne zur Drehungsrichtung eines Uhrzeigers gezählt wer- den, gemeinschaltlichen Veränderungen durch das so- genannte Vorrücken der Nachtgleichen, die sogenannte

His labours Meie lightined by sislerly love and uniled they strained tbeir visions above.

»He bas strelched him quietly down et length lo bask in the starUghl bis gianl slrenglb And time shall here a tuugh morsel Qnd, for his sleel-devouring leeth to grind.

»He wiU grind it at last, as grind it he must, and its brass, and its iron shall be clay and rust. Buth scalhless ages shal roll away, andn urture its fame in its forms decay.«

Wolf, astronomische Mittheilungen. J23

Abirrung des Lichtes, etc., unterworfen, und wenn man die zu verschiedenen Zeilen bestimmten Lnijen eines Sternes auch für diese Veränderungen corrigirt, so stimmen sie erst noch nicht ganz überein, sondern es bleiben lileine, für verschiedene Sterne wesentlich verschieden ausfallende Differenzen übrig, welche man als Eigenbewegungen dieser Sterne bezeich- net hat. Schon Lambert ahnte nun, es möchten diese Eigenbewegungen ztim grossen Theile nur scheinbar sein, nämlich zum grossen Theile nur davon herrühren, dass die Sonne, wie es schon ihre in dem Sonnenflockenphänomene zu Tage tretende Ro- tation wahrscheinlich macht, sich mit ihrem ganzen Gefolge von Planelen und Monden durch den Raum "vorwärts bewege, aber erst Herschel war es 1783 vergönnt, den Beweis dafür zu leisten, und zwar nach folgendem Gedankengange: Denken Sie sich, Sie stehen auf einer Lichtung mitten in einem Walde, so sehen Sie die umgebenden Bäume in einer ge- wissen gegenseilioen Lage. Bewegen Sie sich aber nach einer bestimmten Seite hin, so scheinen die Bäume zur rechten Hand sich im Sinne des Uhrzeigers zu bewegen, ihre Länge nimmt also ab; die links dagegen zeigen eine enlgegengeselzle Bewegung, ihre Länge nimmt zu. Aehnlich bei den Sternen, wenn wir uns mit der Sonne in unserm Sternhaufen nach einer beslimmlen Richtung fortbewegen ; auch da müssen in diesem Falle Verschiebungen solcher Art vorkommen, und wenn diese Verschiebungen im Allgemeinen für eine gewisse Richtung mit den besprochenen Eigenbewegungen übereinstimmen, so wird umgekehrt der Schluss zu machen sein, dass

X24 Wolf, astronomische Mittbeilungen.

sich die Sonne wirklich nach dieser Richtung bewegt. Herschel itonnle nun in der That diese üebereinstim- mung unter der Voraussetzung nachweisen, dass sich die Sonne gegen das Sternbild des Herkules hin be- wege, — ja sein Beweis hat sich nicht nur durch ähnliche Untersuchungen neuerer Zeit als ganz rich- tig bewährt, sondern es ist sogar wahrscheinlich ge- macht worden , dass die Bewegung der Sonne und ihres Gefolges per Stunde nicht weniger als etwa 4000 Meilen beträgt, und es ist bereits mit Sicher- heit abzusehen, dass man in folgenden Jahrhunderten die Veränderung der gegenwärtigen Bewegungsrich- tung erkennen, daraus auf die eigentliche Bahn der Sonne schliessen , und ihre Umlaufszeit um einen fernen Schwerpunkt, d. h. das grosse Sonnenjahr, berechnen wird.

„Erlauben Sie mir zum Schluss noch eine kurze Betrachtung : Es geht aus dem Ebengesagten hervor, dass wir zwar mit unserer Sonne auf noch unbekannter Bahn in das unbekannte All hinausrollen; aber wir wissen, dass dadurch seit Jahrtausenden die Gesetze unserer Bewegung um die Sonne nicht gestört worden sind. Wir wissen zwar nicht, woher wir kommen, wir wissen noch nicht, wohin wir gehen, und was die Räume bergen mögen, in denen wir uns in den näch- sten Tagen befinden werden : aber unser Blick er- weitert sich, unser Reiselagebuch wird inhaltsreicher und richtiger. Während wir z. B. vor hundert und mehr Jahren in einem Meteoriten einen Stein zu er- kennen glaubten, den uns ein hoshafter Nachbar zu- geworfen, und in einem Kometen eine zu unserer Bestrafuno- bestimmte feurige Ruthe, sahen wir

Wolf, astronomische Mittheilungen. 125

später in den erstem eine Art Zugvögel, von denen zuweilen Einer zu Grunde gehe und herunterfalle, und in den zweiten eine Art Touristen, von denen der Eine oder Andere sich bei uns so gut gefallen habe, um sich da bleibend niederzulassen, und jetzt scheinen wir dazu zu kommen. Beide als Ureinwohner ferner Welträume ansehen zu müssen und uns als die Reisenden, welche sich herausnehmen, zuweilen so einen Stein im Vorübereiien als Reiseandenken ein- zustecken, während einzelne Kometen der an ihnen v,oriiberschwebenden Sonne zufliegen, wie Mücken einem Lichte. Wir können noch nicht bestimmen, wie viele Jahrtausende abfliessen werden, bis unser Fahrzeug wieder da angelangt sein wird, wo wir es bestiegen haben, noch nicht, wo es vielleicht das gegenwärtige Menschengeschlecht wieder aussetzen wird ; aber wir müssen vermuthen, dass dieses grosse Sonnenjahr auch eine Art Jahreszeilen haben werde, und damit die sog. geologischen Perioden zusammen- hängen dürften, welche schon so viel Kopfzerbrechens machten. Wir haben endlich, mögen auch Einzelne darüber sprechen und schreiben, noch keine Ahnung davon, wann und wie unsere Erde, unsere Sonne und alle die Sterne geschaifen wurden, was ihr Zweck und ihre Zukunft ist; aber wir fahren doch getrost auf dem grossen Weltmeere, denn wir haben im- merhin die Ueberzeugung gewonnen, dass unser Schiff gut ist, und dass wir einen treuen Fähr- mann haben." ,

Die Häufigkeit der Sonnenflecken konnte von mir oder meinen Assistenten, Herren Weilenmann und Fretz, im Laufe des Jahres 1868 an 298 Tagen mehr

XII. 2. 9

126

Wolf, asironomische Miltheilungen.

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128 Wolf, astronomische Mittheilungen.

oder wenlg^er vollständig beobachtet werden, und ausserdem erhielt ich von den Herren Hofrath Schwabe in Dessau, Weber in Peckeloh (s. 289 der Litt.) und Direktor Schmidt in Athen (A. N. 1657) eine grosse Zahl werthvoller Ergänzungen, so dass ich schliess- lich für 862 Tage über vollständige Beobachtungen verfügte und nur bei B Tagen in gänzlicher ünkennt- niss über den Fleckenstand der Sonne blieb. Wie bei den Berichten über 1863 bis 1865 habe ich in der ersten der beistehenden Tafeln für jeden Tag in altgewohnter Weise die Anzahl der gesehenen Grup- pen und Flecken eingetragen, und bei jeder Beob- achtung, mit einziger Ausnahme der entweder von mir selbst oder von den Herren Weilenmann und Fretz nach ganz entsprechender Art mit Vergrösserung 64 meines Vierfüssers erhaltenen Normalbeobachtungen, durch ein beigefügtes Zeichen den Beobachter markirt, um bei Berechnung der Relativzahlen den ihm zuge- hörigen Reductionsfaktor anwenden zu können: Ein beigesetztes -j- bezeichnet Beobachtungen meines ge- ehrten Herrn Hofrath Schwabe (mit Reductionsfactor 5/4), der 1866 nach seiner neulichen Einsendung in die astronomischen Nachrichten im Ganzen in den 12 Monaten

Beobachtungstage 80 27 26 28 27 80 31 81 30 81 80 28 Fleckenfreie Tage 0 1 0 0 4 2 8 6 14 5 18 28 Gruppen 576586182481

erhielt, also bei 849 Beobachtungstagen die Sonne 76 mal ohne Flecken sah (während die zweite der beistehenden Tafeln auf 862 Tage 82, die erste so- gar 86 oline Flecken hat), und während des ganzen Jahres 46 Gruppen (47 weniger als 1865, und 90

Wolf, astronomische Mittbeilungen. 129

weniger als 1864) zählte. Ein beigesetztes *'^ be- zeichnet Beobachtungen, welche ich (vergl. Nr. XII) mit dem kleinen Instrumente machte, und mit V2 in Rechnung brachte. Ein beigesetztes w bezeichnet Beobachtungen von Weber, die ich mit 74 in Rech- nung brachte, und ein beigesetztes s endlich Be- obachtungen von Schmidt, welchen ich, gestützt auf mehrere correspondirende Beobachtungen, am besten den Werth 1 beilegte. Mit HüHe dieser Beobach- tungen und Reductionsfactoren wurden nun für die erwähnten B62 Tage die Relativzahlen berechnet, und daraus theils die in die Tafel eingetragenen Mo- natsmittel, theils

R = 17,5

als mittlere Relativzahl des Jahres 1866 gefunden. Die zweite der beistehenden Tafeln gibt für jeden derselben 862 Tage die ihm zukommende Relativzahl, jedoch (entsprechend den Berichten seit 1868) mit dem Unterschied, dass letztere sich nicht allein auf die in ersterer Tafel gegebene Beobachtung gründet, sondern dass für sie ausser der Wolf-Schwabe'schen Serie sämmtliche 817 Weber'sche Beobachtungen be- nutzt wurden, welche in Nr. 289 der Literatur ver- zeichnet sind. Ferner gibt die zweite Tafel die fünf- tägigen Mittel dieser mittleren täglichen Relativzahlen, sowie für jeden Monat das Mittel der 6 (oder im Au- gust 7) auf ihn fallenden fünftägigen Mittelzahlen. Diese 12 letzteren Zahlen stimmen natürlich mit den Monatsmitteln der ersten Tafel nicht ganz überein, und so ist auch das aus ihnen gezogene Jahresmittel R' = 16,6

etwas von dem aus der ersten Tafel für R erhaltenen

ISO

Wolf, astronomische Mittheilungen.

Werthe verschieden. In den Jahren 1856—1866 wurden somit erhalten.

R = 4,2 21,6 50,9 96,4 98,6 77,4 59,4 44,4 47,1 32,5 17,5 ß' = 4,0 22,3 55,8 94,2 96,0 82,2 57,0 45,7 45,6 30,4 16,6

und es zeigt sich also aus beiden Reihen noch immer ein zu meiner Fiecitenperiode von IIV9 Jahren auf das Schönste entsprechendes Absteigen der Fleckencurve, die nun wohl im Laufe des Jahres 1867 oder späte- stens 1868 (nach der von mir 1861 aufgestellten For- mel: 1868, 271) ihren tiefsten Punkt erreichen wird. Mit Zugrundelegung der soeben für 1866 ermittel- ten Werthe von R und R' erhalte ich nach den von mir aufgestellten Formeln folgende magnetische Decli- nationsvariationen :

1866

nach Formel

bei

Anwendung von

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6', 53

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5,61

Greenwich

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4,92

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6,42

6,37

Utrecht

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6,47

6,41

Zur Vergleichung liegt mir leider noch kein aus directer Beobachtung hervorgegangener Werth einer dieser Variationen vor, und ich kann nur nachträg- lich zu Nr. XXI anfuhren, dass die dort für 1865 zu 7', 22 berechnete Prager- Variation sich durch directe Beobachtung = 7', 80 ergeben hat, so dass die Differenz zwischen Beobachtung und Rechnung wenigstens für voriges Jahr noch nicht gross genug ist, um eine

Wolf, astronomische Mittbeilungen. 13j[

Abänderung der die Beobachtungen von 1851 bis 1859 darstellenden Formel VJII nolhwendig zu machen. Mein Assistent, Hr. Weilenmann, hat nach meinem Wunsche im Jahre 1866 begonnen, regelmässig an jedem schönen Tage am Refractor Zeichnungen der auf der Sonne befindliciien Flecken aufzunehmen und ihre Positionen abzumessen. Es ist dadurch bereits ein nicht unbedeutendes Material zum Studium dieser merkwürdigen Bildungen erhalten worden, das nach und nach in verschiedenen Richtungen ausgebeutet werden soll. Für heute beschränke ich mich darauf auf zwei Flecken hinzuweisen, welche als Repräsen- tanten der zwei